Kommentar zur BundesregierungScholz muss Migrationsfrage zur Chefsache machen

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Migranten kommen auf einem Schlauchboot im Hafen von Lampedusa an.

Migranten kommen auf einem Schlauchboot im Hafen von Lampedusa an.

Die Bundesregierung wirkt wieder einmal hilflos. Unter den Menschen im Land wächst der Frust, was der AfD zugutekommt. Höchste Zeit für den Kanzler, findet unser Autor.

Als die Ampel-Parteien ihren Koalitionsvertrag schrieben, dürften ihnen die Bilder aus der Flüchtlingskrise 2015/2016 noch gut in Erinnerung gewesen sein. „Mit einer aktiven und ordnenden Politik wollen wir Migration vorausschauend und realistisch gestalten“, heißt es in dem Papier.

„Wir werden irreguläre Migration reduzieren und reguläre Migration ermöglichen.“ Nun droht ein Déjà-vu, denn trotz dieser Beteuerungen von SPD, Grünen und FDP steuert Deutschland auf die nächste Flüchtlingskrise zu.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bis einschließlich August haben nach offiziellen Angaben mehr als 200.000 Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt. Dass die Zahl deutlich unter dem Rekordwert von gut 700.000 Erstanträgen im Gesamtjahr 2016 liegt, kann über die alarmierende Entwicklung nicht hinwegtäuschen: In diesen ersten acht Monaten des Jahres lag die Zahl mehr als 77 Prozent über der des Vorjahreszeitraums. Hinzu kommen über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine.

Kommunen schlagen Alarm

Die Kommunen schlagen längst Alarm. Nicht nur das: In einer Umfrage für den „Spiegel“ finden 84 Prozent, dass derzeit zu viele Menschen nach Deutschland kommen, um hier einen Asylantrag zu stellen. Profit daraus schlägt die AfD. Im Vergleich zum Auftakt der Flüchtlingskrise 2015 ist die Willkommenskultur abgekühlt.

Für die Bundesregierung weist Innenministerin Nancy Faeser Vorwürfe der Opposition zurück, beim Thema Migration untätig zu sein. Sie verweist unter anderem auf die geplante Reform des europäischen Asylsystems. Zur Erinnerung: Faesers Hessen-SPD musste im Wahlkampf kürzlich bei der Forderung zurückrudern, Flüchtlingen nach sechs Monaten ein kommunales Wahlrecht einzuräumen (angeblich waren sechs Jahre gemeint). Ein Beispiel dafür, wie weit entfernt von den Sorgen der Menschen Politik sein kann.

Merkel schaltete sich ein und sorgte für Flüchtlingsabkommen

Die Bundesregierung sieht sich einer komplexen Gemengelage gegenüber: Nachbarstaaten leiten Flüchtlinge nach Deutschland durch, Herkunftsländer nehmen abgelehnte Asylbewerber nicht zurück. Gleichzeitig trifft die EU Abkommen mit der tunesischen Regierung, der vorgeworfen wird, Flüchtlinge in die Wüste zurückzuschicken. Auch die europäische Unterstützung der libyschen Küstenwache ist unter Menschenrechts-Gesichtspunkten fragwürdig. Ziel ist in beiden Fällen, Menschen gar nicht erst nach Europa kommen zu lassen – was zulasten derjenigen geht, die wirklich aus politischen Gründen Schutz suchen.

Gerade aus der Erfahrung der Flüchtlingskrise heraus ist unverständlich, warum Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Migrationsfrage nicht zur Chefsache macht. Scholz-Vorgängerin Angela Merkel (CDU) war es, die 2016 das Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einfädelte – das zwar umstritten war, letztlich aber zu einer Entspannung in der Krise führte.