InterviewOlaf Scholz über Steuern, Genderstern und wie er Schröder ähnelt

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Olaf Schol Schatten Lächeln

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei der ARD-Wahlkampfarena

Herr Scholz, haben Sie jemals daran gedacht, am Zaun des Kanzleramts zu rütteln?

Scholz: Das Rütteln an Zäunen ist heute nicht mehr zeitgemäß ist.

Was verbindet Sie mit Gerhard Schröder? Was trennt Sie?

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Jeder ist sein eigener Charakter. Gerd Schröder ist einer, der Dinge angepackt hat. Darin ähneln wir uns. Mir geht es darum, eine Gesellschaft, die immer weiter auseinanderstrebt, wieder zusammenzuführen. Ich bin dafür, dass es Respekt für jede Arbeits- und Lebensleistung gibt. Sonst drohen auch bei uns Verwerfungen wie beim Brexit in Großbritannien oder bei der Wahl Trumps in den USA.

Deutschland stehe, so sagen Sie es immer wieder, durch den Umstieg hin zum klimaneutralen Wirtschaften vor einer neuen industriellen Revolution. Können Sie verhindern, dass dabei die Schwächsten den höchsten Preis bezahlen?

Das müssen und das können wir. Der Umstieg auf klimaneutrale Produktion birgt eine sehr große Chance, wenn wir dabei technologisch führend bleiben. Dadurch erhalten die Bürgerinnen und Bürger die Sicherheit, dass wir auch in zehn, zwanzig, dreißig Jahren gute und gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland haben. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir sehr schnell sehr viel mehr Strom aus Sonne und Windkraft erzeugen können, um den Bedarf der Stahl-, der Chemie-, der Zement- und der Automobilindustrie zu decken.

Wie stark können Sie den Bau von Stromleitungen und anderen planungsrechtlich komplizierten Vorhaben in Deutschland beschleunigen?

Es ist mein Ziel, dass Genehmigungen von Windkraftanlangen statt in sechs Jahren in sechs Monaten erfolgen. Auch große Überlandleitungen für Strom müssen in ein bis zwei Jahren gebaut werden können statt in den langen Zeiträumen, die es heute dafür braucht. Andere Länder sind da bislang schneller als wir. Die nötigen Gesetzesänderungen will ich im ersten Jahr meiner Regierung auf den Weg bringen.

Wie lang wird Deutschland es bei der Corona-Pandemie noch mit einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zu tun haben?

Die epidemische Lage ist noch einmal verlängert worden – damit besteht eine sichere Grundlage dafür, dass in den Betrieben und an den Schulen weiter getestet wird und in Bussen und Bahnen Masken getragen werden. Klar ist: Dank der Impfungen stehen wir in diesem Herbst und Winter weit besser da als vor einem Jahr. Wir brauchen keinen neuen Lockdown. Der Präsenzunterricht an den Schulen ist wichtig und muss fortbestehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zeit der flächendeckenden Schulschließungen vorbei ist.

Ist eine Impfpflicht dauerhaft ausgeschlossen?

Wir brauchen keine Impfpflicht. Es gibt sehr, sehr gute Argumente dafür, sich mit den hochwirksamen Impfstoffen impfen zu lassen. Mehr als 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind bereits voll geimpft. Jetzt sind wir alle gemeinsam aufgerufen, unsere Freundinnen und Freunde, die Verwandten, Bekannten im Sportverein oder die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz auch davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen: Schützt euch, schützt eure Liebsten.

Scholz Flagge

Olaf Scholz zeigt in einer Kandidaten-Runde die Deutschland-Flagge.

Sie haben unverzichtbare Bedingungen für eine Koalition mit der SPD genannt: ein von Herzen kommendes Bekenntnis zur Nato, die Bereitschaft zur vertieften Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und solides Wirtschaften. Warum sagen sie nicht einfach explizit, dass Sie keine Koalition mit der Linken machen?

Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes kennen mich gut. Sie wissen, welche Art von Politik ich machen werde, dass sie pragmatisch und in die Zukunft gerichtet ist. Ich werde dafür sorgen, dass die Grundlagen unserer nationalen Sicherheit gewahrt bleiben. Das gilt selbstverständlich auch nach der Wahl. Darauf können sich alle verlassen.

Sie wollen mit den Grünen regieren. Schröder hat über Rot-Grün damals gesagt, es müsse klar sein, wer Koch und wer Kellner ist. Gilt das auch heute noch – oder muss ein Kanzler heute eher Moderator als Chef sein?

Mit der Metapher vom Koch und Kellner kann ich nicht so viel anfangen. Klar ist, ein Kanzler muss deutlich mehr sein als ein Moderator. In der Demokratie geht es darum, zu führen und zu gestalten, wenn man dafür einen Auftrag von den Bürgerinnen und Bürgern bekommt. Gleichzeitig gilt: In der Küche ist es nicht nur heiß, es empfiehlt sich beim Kochen auch ein gewisser Teamgeist. Dann schmeckt das Essen besser.

Rot-Grün mag Ihr Wunschbündnis sein, die wahrscheinlichste Konstellation, in der Sie regieren könnten, ist aber die Ampel. Was macht sie optimistisch, dass FDP-Chef Christian Lindner mit SPD und Grünen regiert – nachdem er beim letzten Mal eine Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen platzen lassen hat?

Es war nicht klug, dass sich die FDP zu Beginn dieser Legislaturperiode davongemacht hat mit den Worten: „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“ Aber es war auch keine große Regierungskunst, dass Union und Grüne untereinander eine Einigung erzielen wollten und die FDP nicht mehr richtig einbezogen hatten. So geht das nicht. Wenn man zusammenarbeiten will, muss es gut fürs Land sein und das Ergebnis auch für jeden einzelnen Partner funktionieren. Jetzt ist aber nicht die Zeit für Koalitionsverhandlungen. Die Bürgerinnen und Bürger haben bis 26. September das Wort. Sie entscheiden.

Lindner könnte eine Schlüsselfigur bei der Regierungsbildung sein. Was schätzen Sie besonders an ihm?

Christian Lindner und ich kennen uns lange. Ich habe mit ihm auch wiederholt sehr vertrauliche Gespräche geführt. Man kann sich auf ihn verlassen.

Sie empfehlen Aktien zur zusätzlichen Altersabsicherung, die FDP will einen Teil der gesetzlichen Rente zu einer Aktienrente machen. Sehen Sie da Einigungspotenzial?

Lassen Sie mich einiges vorweg sagen: Die gesetzliche Rentenversicherung muss auch in Zukunft die sichere Basis für die Altersvorsorge sein. Ich bin gegen eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters. Und ich stehe dafür, dass wir ein stabiles Rentenniveau garantieren. Neben der gesetzlichen Rente werden auch die betriebliche Altersvorsorge und privates Aktiensparen eine wichtige Rolle spielen.

Es ist sinnvoll, wenn sich eine solche zusätzliche Vorsorge am schwedischen Modell orientieren würde, das mit einem öffentlich gemanagten Fonds geringe Vertriebskosten und gute Renditen ermöglicht. Die Aktienrente ist eine richtige Idee, wenn es sich um eine zusätzliche Vorsorge auf freiwilliger Basis handelt.

Konkret verspricht die SPD, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken werde. Das heißt, sowohl Rentenbeiträge als auch Steuerzuschüsse müssen steigen. Oder sehen Sie einen anderen Ausweg?

Der beste Weg für stabile Rentenfinanzen ist, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in gut bezahlter Arbeit sind. Dazu tragen eine hohe Frauenerwerbsquote bei und bessere berufliche Chancen für ältere Arbeitslose. Und der Steuerzuschuss in die Rente wird steigen. Auffällig ist, dass die Union dies zwar vehement kritisiert, gleichzeitig aber Steuersenkungen für Leute vorstellen kann, die so viel verdienen wie ein Bundesminister oder noch mehr. Das ist unfinanzierbar. Eine stabile Rente nicht.

Schmerzt es Sie noch manchmal, vor knapp zwei Jahren nicht selbst SPD-Vorsitzender geworden zu sein?

Nein. Die SPD hat seinerzeit zusammengefunden. Sie ist jetzt eine geschlossene Partei – und sie steht geschlossen hinter ihrem Kanzlerkandidaten.

Zwischen Kanzler Gerhard Schröder und dem SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine kam es im Regierungsalltag nach der Wahl bald zum Bruch. Müssten Sie als Kanzler nicht SPD-Vorsitzender werden, damit klare Verhältnisse in der Partei herrschen?

Nein. Ich glaube nicht an Gesetzmäßigkeiten, nach denen der Kanzler zugleich Parteivorsitzender sein müsse. Ich will mit dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger Bundeskanzler werden. Und ich werde als Kanzler nach der Wahl so handeln, wie die Bürgerinnen und Bürger sich das bei der Wahl vorstellen.

Zwischen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf der einen und Ihnen auf der anderen Seite passt kein Blatt Papier?

Die beiden Parteivorsitzenden, der Fraktionsvorsitzende, der Generalsekretär und ich arbeiten sehr eng zusammen. Das haben alle mitgekriegt. Dabei bleibt es auch, wenn wir das Land regieren können.

Sollten Esken und Walter-Borjans im Fall eines Wahlsiegs Parteichefs bleiben?

Ich finde ja. Unser Zusammenhalt ist sehr gut – die Zusammenarbeit klappt prima.

Sie haben angekündigt, Ihr Kabinett solle paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein. Gilt das nur für die SPD – oder setzen Sie diesen Grundsatz auch bei den übrigens Koalitionspartnern durch?

Die paritätische Besetzung des Bundeskabinetts sollte für die gesamte Regierung gelten – nicht nur für den Teil, den die SPD stellen würde. Das ist überfällig in Deutschland. Wir meinen es ernst mit der Gleichberechtigung, deshalb gilt das nicht nur für die SPD, sondern auch für die, mit denen wir regieren.

Sollte das Gendersternchen im Schulunterricht verboten werden?

Ich verstehe die Debatte nicht. Man sollte bei der Frage des Genderns keine Vorschriften machen. Jeder und jede soll das so machen, wie sie oder er es richtig findet. Ich habe mir beispielsweise schon vor langer Zeit angewöhnt, dass ich von Männern und Frauen spreche, von Handwerkerinnen und von Pflegern – und so werde ich es weiter halten. Die Sprache ist lebendig und sie wird auch immer von jungen Leuten geformt, die sie weiterentwickeln.

Sie haben früher als Anwalt für Arbeitsrecht gearbeitet. Wären Sie auch ohne politische Karriere glücklich geworden?

Ja, da bin ich mir sicher. Ich war sehr gerne Anwalt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und hätte das auch immer wieder mit viel Freude gemacht.

Ihre Frau und Sie gehen gern zusammen ins Kino. Schaffen Sie das auch noch, falls Sie Kanzler werden?

Das ist mein fester Plan. Auch ein Bundeskanzler muss mal die Zeit haben für einen Kinobesuch. In der Corona-Pandemie war Kino ja lange nicht möglich. Zuletzt habe ich „Birth of the Cool“ gesehen, eine Dokumentation über den Jazz-Trompeter Miles Davis. Darin war nicht nur zu sehen, was für ein toller Künstler er war, sondern auch, wie sehr er unter Rassismus zu leiden hatte. Das ist das Schöne am Kino, es eröffnet bewegende Möglichkeiten, in andere Leben zu schauen.

Sie sind seit vier Jahren Finanzminister und Vize-Kanzler. Ändert sich in Ihrem Leben noch viel, wenn Sie Kanzler werden sollten?

Bundeskanzler ist ein großes und schwieriges Amt. Aber ich bin froh, dass ich durch die vielen bisherigen Aufgaben in der Politik gut vorbereitet bin. Eines wird sich übrigens nicht ändern: Ich bleibe in Potsdam wohnen.