Svenja Schulze im Gespräch„Die Impfdosen müssen weltweit in die Oberarme“

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Schulze und Lauterbach

Svenja Schulze und Karl Lauterbach (beide SPD)

Die SPD-Politikerin Svenja Schulze war in der großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) Umweltministerin. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat die 53-Jährige Politikwissenschaftlerin in seinem Kabinett an die Spitze des Ressorts für wirtschaftliche Zusammenarbeit gesetzt. In ihrem ersten Interview seit Amtsantritt spricht die neue Entwicklungsministerin über einen beunruhigenden Kassensturz, über das weltweite Impfen und die dabei notwendige Hilfe Deutschlands.

Frau Ministerin, Sie haben das Haus vom CSU-Politiker Gerd Müller (CSU) übernommen. Haben Sie schon eine Inventur gemacht?

Svenja Schulze: Ja, und ich bin ziemlich beunruhigt. Auf den ersten Blick hat Herr Müller für einen Rekordhaushalt gesorgt. Auf den zweiten Blick sieht die Lage ganz anders aus. Er hat sich zwar darum gekümmert, dass für seine Amtszeit genug Gelder zur Verfügung stehen. Aber dann bricht es ab. Für die kommenden Jahre ist die Entwicklungspolitik dramatisch unterfinanziert. Das ist eine schwere Hypothek, auch für Deutschlands Rolle in der Welt. Wir sind langfristige internationale Verpflichtungen eingegangen, für die aber nicht ausreichend Geld zur Verfügung steht.

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Der vorige Finanzminister hieß allerdings Olaf Scholz.

Jedes Ministerium muss mit dem Finanzminister harte Verhandlungen über den Etat führen. Aber mein Amtsvorgänger hat sich offensichtlich nicht um eine ausreichende mittelfristige Finanzierung gekümmert. Die Budgetplanung ist alles andere als nachhaltig. Das muss dringend korrigiert werden, sonst besteht die Gefahr, dass Deutschland wichtigen internationalen Verpflichtungen im Bereich der Hunger- und Pandemiebekämpfung oder auch bei der Unterstützung von Flüchtlingen nicht nachkommen kann. Ich hätte mein Haus nicht so am meine Nachfolgerin übergeben wollen.

Wie viel Geld fehlt?

Dazu müssen wir nun noch einen genauen Kassensturz machen. Aber so viel kann ich schon sagen: Es werden sicherlich keine leichten Gespräche mit dem Finanzminister. Die Herausforderungen für die Entwicklungspolitik sind gigantisch, durch die Pandemie hat sich die Lage in vielen unserer Partnerländer dramatisch verschlechtert. Zum ersten Mal seit Jahren des Fortschritts steigt die absolute Armut wieder an. Das werden wir nicht mit weniger Geld hinbekommen.

Mit Ihnen steht nun eine erfahrene Klimapolitikerin an der Spitze des Entwicklungsministeriums. Wird es neue Prioritäten in der Entwicklungspolitik geben?

Klimapolitik bleibt natürlich meine Herzensangelegenheit. Ich habe schon immer den Ansatz verfolgt, dass jedes Ministerium ein Klimaministerium sein muss. Für die Entwicklungszusammenarbeit gilt das in besonderem Maße. Denn der Klimawandel trifft die ärmsten Länder am härtesten. Insofern ist Klimapolitik ein zentraler Baustein im Entwicklungsministerium.

Kommen Sie sich dabei nicht mit Außenministerin Annalena Baerbock ins Gehege, die nun für die internationale Klimapolitik zuständig ist?

Wir haben uns in der Ampel-Koalition fest vorgenommen, dieses strikte Ressortdenken endlich abzulegen. Annalena Baerbock und ich waren ja kurz nach unserem Amtsantritt schon zusammen auf dem G7-Treffen der Außen- und -Entwicklungsminister. Dieses Team wird gut funktionieren.

Was sind nun Ihre Prioritäten?

Wir müssen alles daran setzen, die Pandemie so schnell wie möglich zu beenden. Sie ist wirklich brutal: Die unmittelbaren Folgen von Covid-19 sind massiv, aber auch Infektionen wie Malaria und Tuberkulose oder Hunger und Armut nehmen extrem zu. Die Gewalt gegen Frauen wächst, es gibt mehr Menschenrechtsverletzungen. Es ist dramatisch, was wir gerade erleben. Der Schlüssel zur Beendigung ist, den Menschen weltweit den Zugang zu Impfstoffen zu ermöglichen. Das steht jetzt im Mittelpunkt. Als Entwicklungsministerin trete ich dafür ein, dass Menschenleben gerettet werden, wo immer wir das mit unserer Unterstützung tun können. Für die schwer Erkrankten in unseren Partnerländern müssen wir weiterhin Medikamente, Sauerstoff und Tests finanzieren.

Für eine faire Impfstoffverteilung wurde die Impfinitiative Covax gegründet, die aber bisher ihre Ziele nicht erreicht hat. An fehlenden Impfdosen kann es aber eigentlich nicht mehr liegen, oder?

Covax benötigt nicht nur Impfdosen, sondern zunehmend auch Hilfe bei der Logistik. Hier engagieren wir uns bereits, müssen unsere Unterstützung aber sicher noch weiter verstärken. Was zählt ist: Die Impfdosen müssen in die Oberarme kommen, und zwar nicht nur in den Hauptstädten, sondern auch in entlegenen Dörfern. Dabei geht es um den Aufbau von Lieferketten, um Transportboxen, Kühlschränke, Spritzen, Desinfektionsmittel oder Handschuhe, aber auch um Informations- und Aufklärungskampagnen. Denn Impfskeptiker gibt es leider in vielen Ländern der Welt.

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Wird Deutschland seine Zusage einhalten, Covax in diesem Jahr 100 Millionen Dosen zu spenden?

Wir werden das Ziel erreichen. Aber dabei dürfen wie nicht stehen bleiben. Für das kommende Jahr planen wir eine weitere Spende von mindestens 75 Millionen Dosen.

Aber Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angesichts der Omikronwelle von einem Impfstoffmangel in Deutschland gesprochen. Gibt es hier nicht einen Interessenskonflikt?

Der Impfstoff ist verfügbar, es wurde aber zu wenig bestellt. Das hat Karl Lauterbach inzwischen korrigiert. Wir sind uns einig, dass wir beides hinbekommen werden: Die Versorgung der eigenen Bevölkerung und die der ärmeren Staaten. Niemand muss hierzulande Sorge haben, dass er eine notwendige Impfung nicht bekommt, weil wir andere Länder unterstützen. .

Wenn es aber nicht nur um Impfdosen geht, sondern auch um Hilfe beim Aufbau der Lieferketten, dann wird auch mehr Geld benötigt. Wieviel?

ACT-A, die globale Initiative zur Bewältigung der Coronapandemie, braucht im kommenden Jahr rund 17 Milliarden Dollar. Deutschland hat schon im letzten und in diesem Jahr mit 2,2 Milliarden Euro unterstützt. Wir sollten im nächsten Jahr wieder den von uns erwarteten Anteil von 1,1 Milliarden Euro leisten. Angesichts der enormen Aufgabe werde ich mich dafür einsetzen, dass wir auch noch etwas darüber hinausgehen. Wir übernehmen im Januar die G7 Präsidentschaft, so gehen wir mit gutem Beispiel voran. Die anderen G7 und auch die G20 Länder – sie alle sollten solidarisch zu ACT-A beitragen.

Viele SPD-Politiker haben sich vor der Wahl für eine befristet Aufhebung der Patentrechte ausgesprochen, um die Produktion von Impfstoffen ausweiten zu können. Setzen Sie sich dafür nun ein?

Nein. Als frühere Wissenschaftsministerin sehe ich den Patentschutz als Basis für erfolgreiche Forschung und Entwicklung. Ich wäre offen dafür, wenn es uns jetzt helfen würde. Aber der Herstellungsprozess moderner Impfstoffe ist technisch so anspruchsvoll und komplex, dass die Aussetzung gar nichts brächte. Ausserdem haben sich die Rahmenbedingungen verändert: 2022 wird es weltweit viel grössere Produktionskapazitäten geben als 2021.

Was ist die Alternative?

Richtig ist, dass wir schon wegen der Logistik und des gerechten Zugangs zu Impfstoffen eine weltweite Produktion benötigen. Aber das erreichen wir am besten und schnellsten durch die Kooperation mit den Herstellern. Erste Projekte gibt es bereits: In Ruanda unterstützen wir zusammen mit Biontech den Aufbau der ersten mRNA-Impfstoffproduktion in Afrika. Biontech baut die Fabrik, wir helfen etwa bei der Ausbildung von Fachkräften. Wir engagieren uns auch im Senegal, in Ghana und in Südafrika zusammen mit europäischen und internationalen Partnern. Derartige Kooperationen sind auch nötig, um auf kommende Pandemien vorbereitet zu sein. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind.

Das Gespräch führte Tim Szent-Ivanyi.