Umweltbundesamt-Chef„Subventionen auf den Spritpreis sind falsch“

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes

Herr Messner, der Krieg in der Ukraine bedroht die Energieversorgung für Deutschland. Spielt der Klimaschutz nur noch die zweite Geige? Dirk Messner: Auf die Bundesregierung wäre wegen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ohnehin eine Herkulesaufgabe zugekommen. Jetzt kommt als zweites Element der Krieg hinzu, der vieles noch schwieriger macht – aber auch eine Chance sein kann: Der schnelle Ausbau von Erneuerbaren und umfassendes Einsparen von Energie sind jetzt sowohl für die Sicherheit und Energie-Souveränität nötig, als auch für den Klimaschutz.

Im Moment nehmen jedoch die Stimmen zu, die den Klimaschutz erst einmal zurückstellen wollen.

Wer Klimaschutz nie für allzu wichtig hielt, meldet sich jetzt wieder – wie während der Pandemie, als die Erholung der Wirtschaft wichtiger sein sollte. Aber diese Stimmen sind in Deutschland nicht sehr laut, weder im Parlament, noch in Wirtschaft und Gesellschaft. Und sie sind falsch, denn der Klimawandel macht auch im Krieg keine Pause.

Fakt ist aber, dass die Laufzeitverlängerung der Kohlekraftwerke im Raum steht. Enttäuscht Sie das?

Wir werden in der Übergangsphase Kröten schlucken. Für kurze Zeit wird Kohle Gas ersetzen. Wichtig ist, dass insgesamt an den Klimazielen nicht gerüttelt wird. Was mich mehr besorgt, sind schleichende Prozesse der Erosion der notwendigen Klimaschutzanstrengungen.

Wie meinen Sie das?

Als erstes wird jetzt auf den Krieg und seine Folgen geschaut. Politische Aufmerksamkeit verschiebt sich. Zweitens gehen öffentliche Investitionen in die Bundeswehr, die Flüchtlingshilfe, Militärhilfen, Nahrungsnothilfen in Afrika – alles aus guten Gründen. Es wird eine Herkulesaufgabe für die Regierung sein, die hohen Investitionen in den Klimaschutz aufrechtzuerhalten: in Mobilitätsinfrastrukturen, sozialen und nachhaltigen Wohnungsbau, Unterstützungen für den Umbau der Industrie. Drittens braucht die Transformation zum Klimaschutz öffentliche Institutionen, die Umbauprogramme voranbringen. Wenn Regierung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft jetzt nicht zusammenstehen, um diese doppelte Herkulesaufgabe zu meistern, bröckelt der Klimaschutz, für den uns nur wenig Zeit bleibt.

Wenn Gas knapp und teuer wird, ist Kohle wieder rentabel. Aber der CO2-Ausstoß in der EU ist bis 2030 gedeckelt. Werden die Vorgaben aufgeweicht?

Zunächst darf an den Zielen des EU-Emissionshandels nicht gerüttelt werden. Wenn wir kurzfristig mehr Kohle verbrennen, um russisches Gas zu ersetzen, müssen an anderer Stelle Emissionen zusätzlich eingespart werden: durch Effizienz und Reformen etwa im Mobilitätsbereich, durch Sanierungsmaßnahmen im Gebäudesektor und durch zügigere Planungen und Genehmigungen von erneuerbaren Energieträgern. Hätte uns eine kriegerische Situation vor zehn Jahren erwischt, wären wir noch massiver in die Fossilen zurückgegangen und hätten noch höhere Strompreise gesehen. Jetzt haben wir die Chance, die Erneuerbaren schnell umzusetzen, weil die Technologien ausgereift und günstig sind. Und wir können damit unsere Energieunabhängigkeit ausbauen.

Droht bei der Umstellung auf Öko-Energie nicht die nächste Abhängigkeit – von China, woher die seltenen Erden und vieles andere Material für die Technologie stammen?

Wir müssen unsere Klimaschutz-Strategien von Anfang an verbinden mit dem raschen Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft: Gut recyclingfähige Windräder, Solarpanels, Elektrobatterien. Da ist noch einiges zu tun! Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen können jedoch die für die Energiewende nötigen Metalle sehr gut recycelt werden. Bei der Transformation des Energiesystems bauen wir die Materiallager allerdings gerade erst auf und werden daher mittelfristig auf den Import von Rohstoffen aus globalen Wertschöpfungsketten angewiesen bleiben. Durch Urban Mining, das systematische Erschließen dieses menschengemachten Rohstofflagers, können wir diese Abhängigkeit aber langfristig deutlich reduzieren.

Welche Energiequellen jenseits von Kohle und Windkraft können russisches Gas ersetzen? Die Produzenten von Biogas sagen, sie könnten ihre Produktion verdoppeln und so die Hälfte der russischen Gas-Importe ersetzen.

Biogas ist keine signifikante Option, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Sie kann sogar in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion und Ernährungssicherheit stehen. 13 Prozent der Ackerfläche nutzen wir für Biogasenergie. Unsere neuesten Berechnungen zeigen: Photovoltaik ist deutlich effizienter. Auf der gleichen Fläche könnten wir 34- bis 52-mal mehr Strom erzeugen. Selbst wenn wir Umwandlungsverluste einberechnen, können wir mit Sonnenergie das Vielfache an Energie aus einer Fläche herausholen.

Die Bundesregierung spricht viel über neue Energiequellen und wenig übers Energiesparen. Ein Tempolimit wurde schon ausgeschlossen – zu Recht?

Wir haben dazu eine klare Meinung: Tempolimits helfen dem Klimaschutz, sparen Energie und Geld. Wenn wir auf den Autobahnen auf 100 Kilometer pro Stunde und auf den Landstraßen auf 80 Kilometer pro Stunde reduzieren, sparen wir knapp vier Prozent der Kraftstoffe, das sind mindestens zwei Milliarden Liter Einsparung und gut 4 Milliarden Euro mehr Geld in den Taschen der BürgerInnen. Es gibt noch andere Energiesparoptionen: zwei Grad geringere Raumtemperatur und effiziente Duschköpfe können die russischen Gasimporte um 10 Prozent senken.

Die Ampel hat sich stattdessen für Subventionen auf Sprit entschieden.

Das ist klimapolitisch falsch. Der Staat sollte kein Geld einsetzen, um fossile Energien zu verbilligen. Wenn Sprit zu teuer wird, sollte er eher Alternativen stärken und untere Einkommensbezieher entlasten. Das Ärgerliche an der aktuellen Lage ist ja, dass durch den Krieg die Energiepreise steigen. Unsere Strategie war ja: durch den CO2-Preis höhere Energiepreise erreichen, um die Menschen zum Umsteigen zu bewegen. Die Einnahmen aus dem CO2-Preis könnte man direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben, wovon gerade Menschen mit weniger Einkommen profitieren.

Auch auf EU-Ebene verschieben sich Prioritäten: Um weltweite Ernährungskrisen und Preissteigerungen durch den Krieg abzuwenden, will die EU-Kommission mehr Felder in der EU für Landwirtschaft nutzen – und dafür Naturschutz-Vorgaben kippen. Auch eine Kröte, die Sie derzeit schlucken müssen?

Nein, das lehne ich ab. Sehen Sie: Die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Speiseöl. Im Augenblick nutzen wir in Deutschland aber jährlich 2,5 Milliarden Liter Pflanzenöl und mischen es als Biodiesel bei. Das ist falsch, weil damit der Umstieg vom Verbrenner- auf den Elektromotor nur verzögert wird. Die Bundesregierung sollte sich dafür stark machen, dass die Beimischung von Pflanzenöl zu Biodiesel sofort und für die gesamte Krisenzeit ausgesetzt wird. Die EU Kommission hat ihre Unterstützung für solche Maßnahmen signalisiert. Pflanzenöl aus Anbaubiomasse sollte nur noch für die Nahrungsmittelversorgung genutzt werden. Ein weitergehender Vorschlag: Wir nutzen einen großen Teil unserer Äcker für Tierfutterproduktion. Würden wir unseren Fleischkonsum reduzieren, würde das unserer Gesundheit, dem Klima, der Biodiversität und der Welternährung guttun.

Herr Messner, der Klimawandel ist bereits im Gange. Auch dieser März war wieder viel zu trocken. Worauf muss sich Deutschland in diesem Jahr vorbereiten - und wie?

Unsere Städte und Gemeinden müssen auf besonders dringliche Klima-Risiken wie Hitze, Trockenheit und Starkregen ausgerichtet werden. Wir brauchen mehr Wasserrückhalt und Grün in den Städten, um die Innenstädte zu kühlen. Wir müssen unsere Ökosysteme, unsere Landwirtschaft und Ernährung sowie unsere Wirtschaft klimaresilient und krisenfest machen. Wir brauchen eine Architektur und Stadtentwicklung, die für Hitzewellen und Starkregen vorsorgt. Die zukünftige Bebauung wird ans Klima angepasst werden müssen.