Später 2:1-Sieg gegen die NiederlandeWatkins schießt England ins Glück – EM-Finale gegen Spanien

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Englands Stürmer Ollie Watkins dreht nach seinem Siegtreffer zum 2:1 jubelnd ab.

Englands Stürmer Ollie Watkins dreht nach seinem Siegtreffer zum 2:1 jubelnd ab.

Beim zweiten EM-Halbfinale zwischen England und der Niederlande deutete alles auf die Verlängerung hin. Doch dann schlug die Stunde von Kane-Ersatz Ollie Watkins.

Die Nachspielzeit im Dortmunder Stadion war soeben angebrochen, fast alles hatte im EM-Halbfinal-Duell in Dortmund zwischen den Niederlanden und England für eine Verlängerung gesprochen. Doch dann kam nach einem Zuspiel von Cole Palmer der zuvor für Superstar Harry Kane eingewechselte Ollie Watkins im Strafraum der Niederländer an den Ball, drehte sich um Oranje-Verteidiger Stefan de Vrij herum und schoss aus elf Metern zum 2:1 für die „Three Lions“ ins lange Eck – Tor!

Der Rest war eine einzige englische Jubeltraube, das Team und seine Fans eskalierten vor Glück. Und die vielen Oranje-Anhänger, aber auch die niederländischen Spieler, waren entsetzt. Die „Elftal“ hatte auf den ganz späten Schreck keine Antwort mehr parat. England steht drei Jahre nach der Final-Pleite daheim gegen Italien erneut im Finale. Die Briten sind jetzt nur noch einen Schritt vom ersten großen Titel seit 58 Jahren entfernt.

EM 2024: England schlägt die Niederlande und steht im EM-Finale

Dort trifft die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate am Sonntag (21 Uhr, ARD) auf Spanien. „Wir haben Geschichte geschrieben!“, jubelte Kane: „Ich bin so stolz auf alle, auf die Spieler, auf die ganze Gruppe. Es war bisher so ein schwieriges Turnier für uns.“ Im Finale „werden wir alles tun, was nötig ist. 90 Minuten, 120 Minuten, Elfmeterschießen – wir wollen den Weg zu Ende gehen.“ Und Matchwinner Watkins jubelte: „Es gab viel Kritik, aber wir stehen im Finale, und das ist alles, was zählt“, sagte Watkins: „Wir haben diesen Comeback-Faktor. Wenn wir in Rückstand geraten, scheint uns das einen Schub zu geben.“

Die Engländer sind die Meister der Effizienz und bei diesem Turnier mit dem Glück im Bunde. Vor dem Viertelfinale hätte wohl fast kein Experte damit gerechnet, dass die Briten ins Endspiel vorrücken könnten. Zu träge, uninspiriert war das Team aufgetreten. Doch im Halbfinale spielten die Engländer im ersten Durchgang ihre beste Halbzeit des Turniers, zeigten ihre Klasse – und schlugen dann im zweiten Durchgang ganz spät zu. Im Finale ist Spanien Favorit. Aber wer weiß, wozu diese Engländer noch in der Lage sind…?!

Tagsüber hatte noch Oranje klar dominiert. Gut und gerne 80.000 niederländische Fans hatten sich auf den recht kurzen Weg ins Ruhrgebiet gemacht. Auf dem Friedensplatz war eine große niederländische Party angesagt: „Naar links! nach rechts!“.

Doch ein gewalttätiger Zwischenfall am Rande des Fanmarsches der Niederländer störte die insgesamt friedliche Atmosphäre. Vor einem Restaurant auf der Kleppingstraße gerieten Fans beider Seiten heftig aneinander, dabei flogen Gegenstände, auch Tische und Bänke wurden geworfen. Als sich die Fans beider Lager auf dem Weg zum Stadion machten, folgte Abkühlung in Form von heftigem Regen – zum dritten Mal während eines EM-Spiels in Dortmund.

Doch rechtzeitig zum Anpfiff hatten sich die dunklen Wolken wieder verzogen. Die Niederländer waren für die Engländer die erste große Fußballnation, auf der sie im Turnier trafen. Englands Trainer Gareth Southgate hatte im Vergleich zum Viertelfinale gegen die Schweiz (Sieg im Elfmeterschießen) nur eine Änderung in seiner Startelf vorgenommen: Der zuletzt gesperrte Guehi rückte wieder für Konsa in die Abwehr. Bondscoach Ronald Koemann tauschte einmal in der Offensive, BVB-Profi Malen startete für Bergwijn auf dem rechten Flügel.

Und das Halbfinale startete mit einem Knall-Effekt: Xavi, der sein Geld bei RB Leipzig verdient, eroberte im rechten Halbfeld den Ball von Englands Rice, startete den Turbo, ging einen Schritt in Richtung Strafraum und zog aus rund 18 Metern stramm ab. Der Ball schlug im linkeren oberen Toreck ein, England-Keeper Pickford streckte sich vergebens. Die Niederlande führte in der siebten Minute mit 1:0.

Und das Spiel ging turbulent weiter, die „Three Lions“ wollten die direkte Antwort. Harry Kane scheiterte an Torhüter Verbruggen (13.), eine Minute später zog der Bayern-Stürmer erneut ab, setzte den Ball über das Tor. Doch Hollands Dumfries hatte Kane zuvor im Strafraum klar am Fuß getroffen. Der VAR meldete sich, Schiedsrichter Felix Zwayer schaute sich die Szene in der Review Arena noch einmal an und entschied auf Strafstoß. Verbruggen ahnte zwar die richtige Ecke, doch der Schuss von Kane war zu platziert – 1:1 (18.).

Das Tor beflügelte die Engländer, zum ersten Mal im Turnier überhaupt zeigten sie flüssige Kombinationen, Dynamik, machten Druck. Es war ihre bis dato beste Halbzeit. Phil Foden hätte nach einem perfekten Steckpass von Mainoo fast das 2:1 erzielt, doch der Ball wurde noch soben von Dumfries auf der Torlinie geklärt (23.). Oranje sammelte sich wieder, machte nun wieder selbst mehr. Nach einer Ecke von Xavi stieg Dumfries hoch und köpfte den Ball an die Latte (30.).

Das Spiel nahm keine Auszeit, nur zwei Minuten später zog Foden mit seinem starken linken Fuß aus der Distanz ab, der Schlenzer klatschte an den linken Außenpfosten. Danach beruhigte sich die Partie bis zur Pause etwas. Koeman musste zwischenzeitlich noch wechseln, für den am Oberschenkel verletzten Depay kam Veermann, zur Pause Weghorst für den blassen Malen. Southgate brachte zum zweiten Durchgang Shaw für Trippier.

Niederlande tragen Trauer und hadern mit Schiedsrichter Zwayer

In diesem verlor das Spiel an Tempo und Intensität, beide Teams gönnten sich längere Ballbesitzphasen. Erst in der 65.Minute folgte der nächste Aufreger: Nach einem Freistoß kam van Dijk am Fünfer an den Ball, doch Pickford parierte. Die „Elftal“ tat nun wieder mehr, England zog sich zurück. In der 77. Minute hatte Xavi in aussichtsreicher Position die Chance zur Führung, doch er traf den Ball nicht richtig. Doch dann jubelte England quasi aus dem Nichts – aber da noch zu früh: Saka traf im Strafraum, doch Passgeber Walker hatte vorher im Abseits gestanden – eine hauchdünne Entscheidung (79.). Es blieb ungemein spannend. Doch dann sollte der famose Auftritt von Watkins folgen.

Oranje dagegen trug Trauer. Und schoss sich auf Schiedsrichter Zwayer ein. Für Koeman war es „niemals ein Elfmeter“.  Und Abwehrchef Virgil van Dijk übte Kritik am deutschen Spielleiter: „Die Tatsache, dass er direkt nach dem Abpfiff in die Kabine rennt, sagt alles.“