Kommentar zur deutschen ElfDie Rückkehr der Turniermannschaft

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Erfahrung im Portfolio: Die deutschen 2014er-Weltmeister Toni Kroos, Thomas Müller und Manuel Neuer nach dem Auftaktsieg über Schottland.

Erfahrung im Portfolio: Die deutschen 2014er-Weltmeister Toni Kroos, Thomas Müller und Manuel Neuer nach dem Auftaktsieg über Schottland.

Beim EM-Auftakt unterstreicht die deutsche Mannschaft ihr Selbstverständnis, zu den Titelanwärtern zu gehören.

Turnierfußball ist eine spezielle Disziplin, und Deutschland hatte sich über die Jahrzehnte den Ruf erspielt, eine Turniermannschaft zu sein. Das lag einerseits daran, dass deutsche Kader nicht dazu neigen, spätestens in der zweiten Turnierwoche innere Konflikte zu entwickeln und daran zu zerbrechen. Andererseits galt es, früh ein Bewusstsein der eigenen Möglichkeiten zu entwickeln. Deutsche Mannschaften, denen bei Turnieren große Erfolge gelangen, waren selten von sich selbst überrascht. Sie waren sich ihrer selbst bewusst und traten entsprechend auf.

Man ist eben kein lustiger Außenseiter, dafür sind andere da. Als sich die Fans der Schotten am Samstag von München aus in Bewegung setzten, verkatert und enttäuscht zwar, jedoch weiterhin zuversichtlich, hatte sich an ihrem Rollenverständnis nichts verändert: Sie wollen ihre wundervolle Hymne schmettern und bereit sein, sollte sich ein Gegner finden, der anfälliger ist für ihr Spiel als diese fulminanten Deutschen beim Turnierstart.

Jugend und Erfahrung, man braucht beides, um weit zu kommen in einem Turnier

So konnten sie besser mit der Abreibung umgehen als etwa die Kroaten, die am frühen Samstagabend das Berliner Olympiastadion füllten und angereist waren, um nach den Turniererfolgen der vergangenen Jahre den nächsten Nachweis ihrer Klasse zu liefern. Kroatiens Schmerzen beim 0:3-Drama gegen Spanien dürften daher deutlich größer gewesen sein als die der Schotten, hatten Luka Modrić und seine Stars offensichtlich nicht damit gerechnet, dass ihre Zeit womöglich schneller abläuft als befürchtet.

Jugend und Erfahrung, man braucht beides, um weit zu kommen in einem Turnier, und die deutschen Duos Musiala/Wirtz und Gündoğan/Kroos könnten als ideales Beispiel dafür gelten, die richtige Mischung auf dem Platz zu haben.

Hinzu kommt die Haltung, die ein Spieler wie Toni Kroos verkörpert: Der Regisseur bringt die Mentalität von Real Madrid mit, nach der man gar nicht erst an einem Turnier teilnehmen sollte, von dem man nicht überzeugt ist, es auch gewinnen zu können.

Die deutsche Elf hat nach dem Auftaktsieg also bereits unter Beweis gestellt, über zwei grundsätzliche Erfolgsfaktoren zu verfügen: Sie vereint eine gute Mischung aus Alt und Jung. Und offenbar hat die Mannschaft ein klares Verständnis davon, was sie zu leisten imstande ist bei dieser Heim-EM. Der große Druck, den ein Fehlstart ins Turnier im eigenen Land für diesen Kader bedeutet hätte, ist nach der Gala gegen Schottland vorerst nichts mehr, womit sich die DFB-Auswahl befassen müsste.

Das alles garantiert keinen Titel, schließlich hat das erste Turnier-Wochenende gezeigt, dass einige Teams aus dem Kreis der Favoriten eigene Ambitionen anmelden. Doch Julian Nagelsmann und seine Mannschaft haben ein deutliches Zeichen gesetzt, wieder in den Rang einer gefürchteten Turniermannschaft zurückkehren zu wollen.

Nach den Rückschlägen der vergangenen Jahre ist das ein Befund, der zuversichtlich stimmen sollte für die kommenden Wochen.