„Wirecard war ein Krebsgeschwür“Kronzeuge belastet Ex-Vorstandschef Markus Braun

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Auf diesem Dateifoto vom 02. September 2020 ist das Logo des deutschen Zahlungsanbieters Wirecard an einem Gebäude der Unternehmenszentrale in Aschheim bei München zu sehen.

Die Verteidiger von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun gingen am 12. Dezember 2022 in die Offensive. Sie bezeichneten das Betrugsverfahren gegen ihren Mandanten als voreingenommen und forderten das Gericht in München auf, das Verfahren auszusetzen.

Im Wirecard-Prozess beschuldigt der Kronzeuge Ex-Vorstandschef Braun als Mittäter - doch dessen exakte Rolle bleibt weitgehend unklar.

Im Wirecard-Prozess hat der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft Ex-Vorstandschef Markus Braun als maßgebliche Figur bei einem jahrelangen Milliardenbetrug beschuldigt. Doch zu Brauns exakter Rolle in dem Geflecht sagte der bis zum Zusammenbruch des Konzerns 2020 für Wirecard in Dubai tätige Manager Oliver Bellenhaus am Montag wenig Konkretes.

„Wirecard war ein Krebsgeschwür“, erklärte der gemeinsam mit Braun angeklagte Bellenhaus vor dem Landgericht München. „Es gab ein System des organisierten Betrugs.“ Braun sei ein „absolutistischer CEO“ (Chief Executive Officer) gewesen - die zentrale Macht bei Wirecard. „Dr. Braun sorgte dafür, dass wir alle in die gleiche Richtung segelten.“ Braun und Bellenhaus sitzen seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Dritter Angeklagter ist der frühere Chefbuchhalter.

Betrug in Höhe von 3,1 Milliarden Euro

„Mir war nicht klar, dass ich mit den Ratten ins Bett gehen und mit der Pest aufwachen würde“, sagte Bellenhaus über seine Verstrickung in den mutmaßlich größten Betrugsfall in Deutschland seit 1945 und die Mitangeklagten; ein Satz, den der Vorsitzende Markus Födisch anschließend rügte.

Der ehemalige Mitarbeiter und Mitangeklagte im Wirecard-Prozess, Oliver Bellenhaus, wartet am 19. Dezember 2022 in einem Gerichtssaal des Landgerichts München auf den Beginn eines weiteren Verhandlungstages wegen gewerbsmäßigen bandenmäßigen Betrugs, Untreue, Marktmanipulation und Bilanzmanipulation.

Der ehemalige Mitarbeiter und Mitangeklagte im Wirecard-Prozess, Oliver Bellenhaus. Wirecard, einst als Vorzeigeunternehmen der deutschen Tech-Industrie gepriesen, implodierte 2020 spektakulär, nachdem es zugegeben hatte, dass 1,9 Milliarden Euro (2 Milliarden US-Dollar) auf seinen Konten fehlten, die wahrscheinlich nicht existierten.

Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Angeklagten und weiteren Beschuldigten vor, eine kriminelle Betrügerbande gebildet und mit erfundenen Gewinnen die Kreditgeber des 2020 zusammengebrochenen Dax-Konzerns um 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben. Der 49-Jährige sagte am dritten Prozesstag als erster der drei Angeklagten zur Sache aus. Er ist auch der einzige, der die Vorwürfe einräumt: „Ich bin erschrocken über mein eigenes Leben.“

Ex-Vorstand Markus Braun sieht sich als Opfer

Braun bestreitet über seine Anwälte die Vorwürfe, was Bellenhaus für unglaubwürdig erklärte. „Er sieht sich als Opfer, und das ist ein bekanntes Muster.“ Doch ging aus Bellenhaus“ Aussage nicht hervor, wann die Betrügereien begannen und wie sich die mutmaßliche Bande formiert haben soll. Brauns Verteidigung wiederum wirft Bellenhaus vor, unglaubwürdig zu sein und Firmengelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben.

„Aus kleinen Lügen wurden große Lügen“, ließ Bellenhaus die Anfänge der kriminellen Geschäfte im Ungefähren. „Kleine Lügen wurden zu großen Lügen, und große Lügen werden bestraft.“ Er berichtete jedoch von einer Besprechung im Oktober 2019, an der Braun teilnahm und bei der es demnach darum ging, wie Wirecard angesichts einer Sonderprüfung der Bücher durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG die Fassade erfundener Geschäfte wahren könnte.

Wirecard brach im Juni 2020 zusammen

Wirecard war ein Zahlungsdienstleister, der hauptsächlich Kreditkartenzahlungen im Einzelhandel und im Internet abwickelte. Über das von Bellenhaus geleitete Tochterunternehmen Cardsystems Middle East in Dubai verbuchte Wirecard laut Anklage erfundene „Drittpartner“-Umsätze in Milliardenhöhe. Diese Drittpartner waren Firmen, die im Wirecard-Auftrag Zahlungen abwickelten.

Der Dax-Konzern brach dann im Juni 2020 zusammen, weil 1,9 Milliarden angeblich auf südostasiatischen Treuhandkonten verbuchter Drittpartner-Gelder nicht auffindbar waren. Damit Braun als Bandenchef oder auch nur -mitglied verurteilt werden kann, muss die Staatsanwaltschaft das Gericht überzeugen, dass er den Betrug steuerte beziehungsweise aktiv beteiligt war.

Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun (r.) steht neben seinem Anwalt Alfred Dierlamm (l.) in einem Gerichtssaal des Landgerichts München.

Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun (r.) steht neben seinem Anwalt Alfred Dierlamm (l.) in einem Gerichtssaal des Landgerichts München am 19. Dezember 2022 vor dem Beginn eines weiteren Verhandlungstages wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Untreue, Marktmanipulation und Bilanzmanipulation.

Der Manager hat über seine Verteidiger erklären lassen, dass die vermissten Milliarden tatsächlich existiert hätten, aber immense Summen unter anderem von Bellenhaus auf die Seite geschafft worden seien. Bellenhaus wies das kategorisch zurück.

Verteidigung will Prozess stoppen lassen

Die von Braun angeführten Milliardenbeträge auf den Konten ehemaliger Geschäftspartner sind nach seinen Worten höchstens zu einem kleinen Teil Wirecard-Gelder. Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm will den Prozess stoppen lassen. Er wirft der Staatsanwaltschaft vor, viel zu spät mit der Untersuchung der tatsächlichen Zahlungsflüsse begonnen zu haben.

Die Verfahrensbeteiligten würden mit neuen Unterlagen überflutet, sagte der Anwalt - kurz vor Prozessbeginn 44.000 PDF-Seiten, danach noch weitere 11.000 Seiten. „Die Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft in zwei Jahren Verfahren versäumt hat und jetzt parallel zur laufenden Hauptverhandlung durchgeführt werden, sind ein Fass ohne Boden“, sagte der Verteidiger.

Dierlamms zweiter Vorwurf lautet, dass die Staatsanwaltschaft der Verteidigung wesentliche Unterlagen vorenthalten habe. Die Staatsanwaltschaft wies die Kritik zurück. „Die Akten zu dieser Anklageerhebung sind vollständig“, erklärte die Ermittlungsbehörde auf Anfrage. Die von Braun und Dierlamm angeführten Milliarden auf den Konten ehemaliger Wirecard-Geschäftspartner betreffen demnach Geschäfte, die gar nicht Teil der Anklage und somit für das Verfahren irrelevant sind. Die Kammer hat noch nicht über den Aussetzungsantrag entschieden. (dpa)