Gesünder als Weizen?Dinkel: Ein Mythos in aller Munde

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Illustration: Brote auf einem Tisch

Sorten wie Dinkel, die zum Urgetreide zählen, erleben seit einiger Zeit eine Renaissance

Brot, Brötchen, Kuchen oder auch Nudeln aus Dinkel sind beliebt wie nie. Er zählt wie Einkorn und Emmer zu den Urgetreiden, die gesünder als Weizen sein sollen. Was ist dran?

Dinkel ist das beste Getreide, fettig und kraftvoll und leichter verträglich als alle anderen Körner. Es verschafft dem, der es isst, ein rechtes Fleisch und bereitet ihm gutes Blut. Die Seele des Menschen macht er froh und voll Heiterkeit. Und wie immer zubereitet man ihn isst, sei es als Brot, sei es als andere Speise, ist er gut und lieblich und süß.“ Was wie aus einem Werbeprospekt der Bäckerinnung klingt, ist ein Zitat der naturheilkundigen Universalgelehrten Hildegard von Bingen (1098–1179). Heute ist Dinkel wieder in aller Munde.

Nachdem das traditionelle Getreide im 20. Jahrhundert von modernen Weizensorten verdrängt worden war, sind Dinkelprodukte mittlerweile wieder gefragt. Auch Einkorn und Emmer – Sorten, die wie Dinkel zum Urgetreide zählen – erleben seit einiger Zeit eine Renaissance.

Gletschermann Ötzi hatte auf Alpentour Einkorn verzehrt

Die Geschichte der ältesten kultivierten Getreidesorten reicht weit zurück. Gletschermann Ötzi hatte vor 5000 Jahren auf seiner Tour durch die Alpen Einkorn verzehrt, wie Forschende bei der Untersuchung seiner Mumie herausfanden. Emmer, auch Zweikorn genannt, war bei den alten Ägyptern und Römern beliebt. Dinkel gab es in Europa immerhin auch bereits vor 3000 Jahren.

Jetzt sind sie also zurück, die verschiedenen Urgetreide. Und zwar in einer Produktvielfalt, die Ötzi sicher neidisch gemacht hätte: Es gibt Brot, Brötchen, Kuchen, Kekse, Müsli und Nudeln aus den Getreiden. Dinkel wird mittlerweile auch für Getreidedrinks als Alternative zu Milch verwendet.

Biodiversität, Regionalität, Bio und auch Gesundheit – all das sind positive Assoziationen, die Menschen mit Urgetreide verbinden
Lebensmittelchemikerin Sabrina Geißlitz

Doch woher kommt der Hype um die Urgetreidesorten? „Biodiversität, Regionalität, Bio und auch Gesundheit – all das sind positive Assoziationen, die Menschen mit Urgetreide verbinden“, erklärt Lebensmittelchemikerin Sabrina Geißlitz vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Tatsächlich ist Urkorn oft in Bioqualität erhältlich, wird überwiegend hier in Deutschland angebaut und erhöht die biologische Vielfalt auf den Feldern. Und auch sein Geschmack ist besonders – im Vergleich zu Weizen nämlich würziger und leicht nussig. Kurz gesagt: Es gibt viele gute Gründe für die Verwendung von Urgetreide in Lebensmitteln.

Wer das eigene Gesundheitsgewissen beim Pastagenuss stets mit einer Packung Dinkel-Fusilli ruhig stellt, interessiert sich aber vor allem für eine Frage: Sind Dinkel und Co. gesünder als Weizen? Darauf hat Getreideexpertin Geißlitz eine klare Antwort: „Generell ist Weizen genauso gesund wie Dinkel.“ Einkorn, Emmer und Dinkel sind Weizenarten und gehören, genau wie der handelsübliche Brotweizen, zu der Gattung Triticum. Was hat es also mit dem Gesundheitsmythos rund ums Urgetreide auf sich?

Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in die Nährstofftabelle. In der Zusammensetzung der Urgetreide zeigen sich in der Tat Unterschiede. Zum Beispiel beim Gehalt von Vitamin E, das die Zellen im Körper schützt: Emmer enthält doppelt so viel Vitamin E wie Weizen, noch mehr davon findet man in Einkorn. Und nicht nur das: Einkorn enthält reichlich Carotinoide, die sich zum Beispiel positiv auf die Augengesundheit auswirken. Dinkel dagegen schlägt Weizen im Eiweißgehalt.

Auf Unterschiede in der Nährstoffzusammensetzung von Urgetreide und Weizen verweist auch das Bundeszentrum für Ernährung auf seiner Website – die Expertinnen und Experten zeigen allerdings auch, dass Weizen nicht bei allen Nährstoffen schlechter abschneidet als Urkorn: Er enthält etwa mehr Folsäure als Dinkel.

Reichlich Ballast- und Mineralstoffe

Was bedeutet das also für den Gesundheitswert der Urgetreide? „Wenn man sich einzelne Inhaltsstoffe herauspickt, lassen sich die jeweiligen Urgetreide auf diesen Bestandteil bezogen als gesünder bezeichnen“, erklärt Geißlitz. „Insgesamt kommt es aber auf eine ausgewogene, abwechslungsreiche Ernährung an“, fügt sie hinzu. Und trotzdem gibt es einen Grund, warum Urkorn zum Beispiel in Brot oft einen gesundheitlichen Mehrwert bringt: Im Gegensatz zu Weizen findet man Urgetreide fast immer in Vollkornprodukten – im vollen Korn stecken reichlich Ballast- und Mineralstoffe.

Unabhängig von seinen Inhaltsstoffen gelten insbesondere Dinkelprodukte bei vielen Menschen als verträglichere Alternative zu Lebensmitteln aus Weizen. Laut einer Telefonbefragung des Bundesinstituts für Risikobewertung aus dem Jahr 2020 glauben nur etwa ein Fünftel der Befragten, dass Dinkel und Weizen ein vergleichbares Allergiepotenzial haben. Bei einer Weizenallergie reagieren Betroffene vor allem auf das Klebereiweiß Gluten oder auch auf andere Bestandteile des Getreides.

Sind Dinkel, Emmer oder Einkorn also eine Option für Menschen, die auf Gluten verzichten müssen? Laut Geißlitz auf keinen Fall: „Urgetreide enthält Gluten, genau wie Weizen“, erklärt die Lebensmittelchemikerin. Dennoch gibt es immer wieder Menschen, die Weizenbrot nicht gut vertragen, Dinkelprodukte dagegen schon. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nennen diese Erkrankung „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“ (NCWS). Dabei reagieren Menschen sensibel auf Weizen. Die Symptome reichen von Kopf- und Bauchschmerzen bis hin zu Müdigkeit.

Woran das liegt, ist bislang allerdings wenig erforscht. Ein Grund könnte sein, dass nach Angaben der Verbraucherzentrale Bayern Dinkelmehl naturbelassener ist als Weizenmehl, da es bislang weniger stark durch Züchtung verändert wurde.

Generell ist Weizen genauso gesund wie Dinkel
Sabrina Geißlitz, Lebensmittelchemikerin

Doch auch sogenannte FODMAPs könnten verantwortlich sein. Das sind Kohlenhydrate, die im Darm durch Mikroorganismen verstoffwechselt werden. So kann es zu Blähungen kommen – Geißlitz zufolge auch bei gesunden Menschen. „Der Gehalt der FODMAPs lässt sich allerdings weniger durch Getreidesorten als durch die Verarbeitung beeinflussen“, sagt sie. Denn für einen geringeren Gehalt an FODMAPs im fertigen Brot muss der Bäcker Zeit mitbringen: Je länger der Teig gärt, desto mehr FODMAPs bauen sich ab – sowohl bei Teigen auf Weizen- als auch auf Urkornbasis.

In der industriellen Produktion, in der oft preisgünstigere Produkte hergestellt werden, bleibt für eine lange Teigführung allerdings weitaus weniger Zeit als bei Handwerksbetrieben. Wer auf Nummer sicher gehen will, was Inhaltsstoffe und Zubereitung des Brotes betrifft, backt am besten selbst. Allerdings haben insbesondere Emmer oder Einkorn ganz andere Backeigenschaften als Weizen – in Rezepten lässt sich Weizen deshalb nicht eins zu eis mit Urkorn ersetzen.

Bis Anfang 2023 arbeiteten Wissenschaftler an der Universität Hohenheim an einem umfassenden Versuch mit Urgetreidesorten. Dabei wurde deutlich: Anbau und Verarbeitung von Urgetreide erfordern ein gewisses Know-how. Für das Backen mit Einkorn etwa empfehlen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Zutaten nur zu mischen und wenig zu kneten, Gleiches gilt für Teige mit Emmer und Dinkel. Am besten funktioniert das Backen mit speziell für Urgetreide entwickelten Rezepten. Übrigens: Auch Gletschermann Ötzi verzehrte das Einkorn seiner letzten Mahlzeit wohl als gebackenes Brot. (RND)


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