„Desaster“ bis „Ende der Sprachregelungen“So reagieren Kölner Parteien auf das Ergebnis der Europawahl

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Die Ergebnisse der Europawahl in Köln.

Die Ergebnisse der Europawahl in Köln.

Am Tag nach der Europawahl äußern sich die Parteien. Bei den Grünen fordert ein Landtagsabgeordneter trotz Wahlsieg eine ehrliche Analyse.

Und jetzt? Was bedeuten die Ergebnisse der Europawahl in Köln? Die nächsten Wahlen stehen nächstes Jahr im Herbst an — und zwar für den Bundestag und die Kommunen in NRW. Zur Frage, ob die Europawahl aussagekräftig ist, mit Blick auf das nächste Jahr, sagte Stefan Marschall, Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Die Ergebnisse der Europawahl sind zumindest für die Kommunalwahl nur bedingt aussagekräftig, dort spielen andere Themen und viel stärker Personen eine Rolle. Aber trotzdem liefern die Ergebnisse erste Hinweise.“ Die Erkenntnisse zur Europawahl in Köln im Überblick.

Grüne:

Bei einem Verlust von 8,5 Prozentpunkten gegenüber der Europawahl von 2019 müssen die Kölner Grünen ihr Wahlergebnis von 24,33 Prozent schon drehen und wenden, um ihm eine positive Seite abzugewinnen. Immerhin haben sie mehr als 36.000 Stimmen eingebüßt. Christiane Martin, Vorsitzende der Stadtratsfraktion, sagte: „Wir sind weiterhin stärkste Kraft in Köln – das ist eine gute Nachricht und zeigt, dass wir viele Menschen mit unserer Politik erreichen und überzeugen.“

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Am stärksten sind die Grünen in Ehrenfeld (37,15 Prozent), Nippes (37,06 Prozent) und der Neustadt-Süd (35,76 Prozent). Dort erreichten sie 2019 aber noch Ergebnisse von um die 46 Prozent, die Rückgänge sind enorm.

Grünen-Landtagsmitglied Arndt Klocke.

Grünen-Landtagsmitglied Arndt Klocke.

Arndt Klocke, der bei der Landtagswahl vor zwei Jahre das erste grüne Direktmandat in Köln geholt hatte, bezeichnet vor allem den Einbruch der Grünen bei den Jung- und Erstwählern als alarmierend. Klocke fand deutliche Worte: „Ich hoffe, dass die Partei die Kraft und den Mut zu einer ehrlichen Analyse und auch zu Kursänderungen hat. Die Zeit des wohl gefeilten Wordings und der Sprachregelungen muss vorbei sein. Mein inhaltlicher Rat: Stärker auf sozialpolitische Fragen wie bezahlbares Wohnen, eine gute Kinderbetreuung und Bildung Antworten geben und diese neben Klimaschutzthemen in den Mittelpunkt stellen. Allein Themen der Energiewende reichen künftig nicht aus, um Grüne wieder zu stärken.“

Die Parteichefin der Kölner Grünen, Katja Trompeter, will erst die Analysen abwarten, warum es bei den jungen Menschen einen Rechtsruck gegeben hat. Politikwissenschaftler Marschall sagte: „Die Kölner Grünen liegen im Bundes- und Landestrend und verlieren erdrutschartig. Das Thema Klimapolitik steht anders als 2019 nicht mehr ganz oben auf der Agenda. Vor fünf Jahren hatten die Kölner Grünen natürlich ein astronomisches Ausnahmeergebnis, das sich jetzt auf hohem Niveau normalisiert hat. Anderswo würden Grünen mit diesem Ergebnis stundenlang feiern.“

Politikwissenschaftler Stefan Marschall.

Politikwissenschaftler Stefan Marschall.

CDU:

Im Vergleich zur historisch schlechten Europawahl 2019 hat die Kölner CDU um 1,1 Prozentpunkte zugelegt, Parteichef Karl Mandl leitete daraus ab, dass der Trend „absolut positiv“ ist. Für Mandl und den seit März 2023 neuen Vorstand war es die erste Wahl in Verantwortung, dementsprechend wichtig war das Plus. Positiv lief es für die CDU in den neun Stadtbezirken. Statt nur zwei Bezirken gewann sie dieses Jahr sogar fünf: Chorweiler, Porz, Rodenkirchen, Kalk und Mülheim. Vor allem rund um die Innenstadt punktete die CDU (siehe Grafik), im Stadtteil Hahnwald war sie am stärksten (49,7 Prozent), in Ehrenfeld am schwächsten (9,3 Prozent).

Und: Der Abstand zu den Grünen, ihrem Bündnispartner im Stadtrat, ist geschmolzen, das macht der Partei Mut. Mandl sagte: „Wir konnten erstmals wieder zulegen. 2025 werden wir die stärkste Partei in Köln.“ Allerdings: NRW-weit landete die Kölner CDU unter den 54 Wahlkreisen auf dem allerletzten Platz, der Abstand zum 53. Platz (Duisburg) betrug schon 1,9 Prozentpunkte.

Die Kölner CDU im Brauhaus Sion.

Die Kölner CDU im Brauhaus Sion.

SPD:

Als „Desaster“ bezeichnet der Juso-Vorsitzende Sercan Karaagac die Wahlergebnisse der Kölner SPD. Stärkste Kraft ist sie nur noch in vier der 86 Stadtteile: Buchforst, Gremberghoven, Vingst und Höhenberg. Zwei Stadtteile gibt die SPD im Vergleich zur Europawahl 2019 ab: Bocklemünd/Mengenich an die CDU, Chorweiler sogar an die AfD.

Aus der Partei ist ein Stück weit Ratlosigkeit ob der Resultate zu vernehmen. Mit dem Wahlkampf in Köln und der Co-Parteivorsitzenden Claudia Walther als Kandidatin war die Partei sehr zufrieden. Co-Parteivorsitzender Florian Schuster sieht die SPD „in Köln auf einem guten Weg“ — obwohl die Ergebnisse von Sonntag das nicht hergeben. Auf Probleme zum Wohnen, zur Bildung und zur Mobilität müssten die Menschen „konkrete Antworten bekommen“, meint Schuster, daran arbeite die SPD. In der einst SPD-geprägten Stadt Köln drohen die Sozialdemokraten noch weiter an Bedeutung zu verlieren.

Der Juso-Vorsitzende Sercan Karaagac (verschränkte Arme im blauen T-Shirt) am Sonntag.

Der Juso-Vorsitzende Sercan Karaagac (verschränkte Arme im blauen T-Shirt) am Sonntag.

Für die Partei stellt sich deshalb jetzt noch stärker die Frage, wie sie sich zur Kommunalwahl 2025 hin verbessern und vom Bundestrend ein Stück weit unabhängig machen kann. Schließlich will sie nach zehn Jahren in der Opposition wieder in eine gestaltende Rolle im Stadtrat kommen. Laut Karaagac muss deshalb „klar sein, für was wir sind und gegen was wir sind“. Die Partei müsse sich ehrlich machen – und mit authentischem Personal, wie Claudia Walther im jetzigen Wahlkampf, in den Kommunalwahlkampf gehen.

Dann müsse sie das auch „nicht mit eingezogenem Kopf“ tun. Fraktionschef Christian Joisten sieht für die SPD „natürlich den Anspruch, 2025 in Köln besser zu sein. Die Stadt ist tief gespalten und wir sehen Stadtteile, die keine gemeinsame politische Basis mehr haben. Darauf müssen wir Antworten finden.“

AfD:

Die AfD schnitt in Köln viel schlechter als im Bund ab, statt 15,9 holte sie nur 7,3 Prozent. AfD-Kreissprecher Christer Cremer sagte mit Blick auf die vergangenen Wahlen, beispielsweise für den Landtag oder den Stadtrat: „Das Ergebnis ist eine wesentliche Verbesserung. Wir werden auch in Köln stärker.“

Trotzdem: In den 54 Wahlkreisen in NRW sicherte sich die Partei nur in Aachen, Bonn und Münster noch weniger Stimmen als in Köln. Allerdings: In Chorweiler gewann die AfD sogar einen der 86 Kölner Stadtteile. Dort sind die vor fünf Jahren siegreichen Sozialdemokraten nur noch die drittstärkste Partei (nach AfD und CDU) – obwohl doch gerade im einkommensschwachen Chorweiler die Wählerinnen und Wähler wohnen, die die SPD als ihre Kernwählerschaft begreifen dürfte.  Experte Marschall sagt dazu: „Die AfD ist häufig dort stark, wo es ein niedriges Einkommens- und Bildungsniveau und eine hohe Arbeitslosigkeit gibt.“

Volt:

Zu den Wahlgewinnerinnen in Köln zählte die Europapartei Volt. Mit 5,54 Prozentpunkten Zuwachs verzeichnete sie die größte Steigerung aller Parteien und schob sich noch vor die FDP auf Platz fünf. „Wir sind super glücklich mit unserem Ergebnis in Köln. Zur Kommunalwahl 2025 wollen wir die AfD schlagen, hinter der wir nur knapp liegen“, sagte Volt-Teamleiterin Andrea Browers. Für den Kommunalwahlkampf will die Partei demnach zudem schauen, in welchen Stadtteilen außerhalb der Innenstadt sie sich noch steigern kann. Am erfolgreichsten war die Partei in der Neustadt-Süd (11,7 Prozent), Ehrenfeld (11,61 Prozent) und der Altstadt-Süd (10,67 Prozent).

Marschall sagte: „Das Ergebnis von Volt in Köln kann man spektakulär nennen, weil es weit über dem Schnitt in Land und Bund liegt. Es scheint so, als habe Volt als Teil des Mehrheitsbündnisses im Kölner Stadtrat mit Grünen und CDU sich etabliert. Die Partei gilt in Köln offenkundig als gut wählbar.“ Allerdings hatte Volt bei der Landtagswahl vor zwei Jahren nur 1,95 Prozent. Und auch Browers sagt: „Das Ergebnis kann unsere Position in der Ratsarbeit stärken. Wir haben gezeigt, dass wir keine Eintagsfliege sind. Wir sind in der Kölner Politik angekommen.“ Seit der Kommunalwahl 2020 arbeitet Volt (vier Sitze im Stadtrat) mit den Grünen (26) und der CDU (20) im Mehrheitsbündnis. Am Sonntag holte das Trio addiert 52,3 Prozent der Stimmen, allerdings ist unklar, ob dieses Ergebnis auf eine Kommunalwahl übertragbar ist.

FDP/Linke/BSW:

Die FDP bildete am Sonntag eine Konstante: 2019 versammelte sie in Köln 6,2 Prozent der Stimmen auf sich, nun waren es 6,7 Prozent. Parteichef Lorenz Deutsch sagte: „Ich freue mich, dass wir in Köln über dem Bundesdurchschnitt liegen.“ Die Linke landet in Köln mit 4,0 Prozent knapp hinter dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das in Köln 4,2 Prozent erreichen konnte. An das BSW habe man sicherlich Stimmen verloren, sagte Marius Vogel, Sprecher für die Kölner Linken.