SchicksalsschlagKölner Anwalt wurde nach Krebs-Erkrankung Musiker

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Erik Millgramm

Erik Millgramm plant ein Konzert im Rheinauhafen.

  • Unsere Serie „Zwei Kaffee, bitte“: Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?
  • Unsere Autorin hat in dieser Folge „Zwei Kaffee” Erik Millgramm getroffen.
  • In einem früheren Leben war Millgramm Jurist. Dann erhielt er eine Schreckensdiagnose – und krempelte sein Leben um.

Köln – „Tja, typisch Männer“, denke ich, als mir mein Gesprächspartner von dem Wendepunkt in seinem Leben erzählt. Bevor sie freiwillig aus dem Hamsterrad herausspringen oder zumindest einen kleineren Gang einlegen, muss es erstmal zum Knall kommen. Bei Erik Millgramm war es der Moment, als ihm sein Arzt eröffnete, dass zwischen seinem Herzen und seinem Kehlkopf ein handballgroßer Tumor sitze.

Nicht, dass diese Diagnose völlig überraschend gekommen wäre. Der gebürtig aus Langenfeld stammende Anwalt hatte schon länger gemerkt, dass er immer schwerer Luft bekam. Da er jedoch, wie er erzählt, von morgens bis spätabends über irgendwelchen Fällen in seiner Kanzlei saß, habe er im Grunde kaum Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Erst als ihm der Arzt erklärte, dass der Tumor inzwischen so sehr auf die Luftröhre drücke, dass da kaum noch Luft durchkomme, war zumindest dieser Fall klar.

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„Da packt dir einer in die Seele rein“

Als ausgesprochener Fan von Happy-End-Geschichten bin ich sehr erleichtert, als Millgramm erzählt, dass sich der unerwünschte Handball als gutartig erwies. Raus musste er natürlich trotzdem. Ergo habe man ihm das Brustbein aufgesägt, was ein Eingriff sei, der „massiv in die Stabilität eingreife“. Zudem habe er das Gefühl gehabt: „Da packt dir einer in die Seele rein.“

Mindestens genauso belastend sei die Wartezeit gewesen, bis das Ergebnis der feingeweblichen Untersuchung kam. Das sei der Moment gewesen, in dem er beschloss, aus seinem bisherigen Leben auszusteigen.

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Ich treffe den 60-Jährigen in der Südstadt. Die Papierrolle, die er trägt, sind kleine Plakate, mit denen er auf eine Veranstaltung hinweisen möchte. Ich lotse den auffallend großen Mann ins Café Sabor Ermoso, wo er mir von seinem neuen Leben erzählt. Erst jetzt erkenne ich, dass der kleine Hinterhof, in dem wir vor einer Hängematte und einem Surfbrett sitzen, der perfekte Hintergrund für den postjuristischen Lebensabschnitt darstellt. Wir befinden uns an einem Ort, der dazu einlädt, für ein, zwei Stunden die Seele baumeln zu lassen. Genau das will mein Gegenüber auch: Er will den Kölnerinnen und Kölnern einen Abend schenken, an dem man gemeinschaftlich einen Gang runterschaltet „und sich die Seele massieren“ lässt.

Wir sitzen mindestens zwei Stunden zusammen und sprechen viel zu viel, als dass man alles in einen Artikel packen könnte. In Kurzform: Millgramm griff in seiner Rekonvaleszenzphase zu seiner alten Gitarre und schlug damit die Richtung ein, die er sich als 20-Jähriger nicht zu nehmen getraut hatte. Und je mehr er spielte, umso mehr wuchs sein Selbstbewusstsein. Und er spürte: „Ich habe noch immer Visionen.“ Um diese umsetzen zu können, brauchte er andere Musiker, die er auch fand. Es war, als schließe sich plötzlich ein Kreis, und aus der Vision wurde eine CD.

Millgramm hasst das Wort „Entspannungsmusik“, weil unter diesem Begriff so furchtbar viel Schrott auf dem Markt sei; Musik, die ausschließlich mit Hilfe des Computers entstehe. Bei seinem Projekt „Under One Sky“ erklingen hingegen richtige Instrumente. „Wir werden inzwischen auf fünf Kontinenten in 30 Ländern gehört“, betont der heutige Gitarrist und Keyboarder.

„Gemeinsam die Sonne verabschieden“

Und nun plant er dort, wo sonst das Sommerkino im Rheinauhafen stattfindet, am Abend des 21. September, eine Multi-Media-Installation mit riesigen Fotos und Musik. „Live-Musik?“, frage ich. Er nickt. Sie würden zu viert ab 19.30 Uhr auf einer kleinen Bühne auf dem Rhein spielen. „Wahrscheinlich werden Sie kurz vorher ständig auf die Wetter-App schauen“, mutmaße ich.

Millgramm lächelt. „Wir wollen ja gemeinsam die Sonne verabschieden.“ Ob es dem ehemaligen Anwalt tatsächlich gelingt, die Zuhörer „in eine Art Trancezustand zu versetzen“, wird man sehen. Decken und Kissen einzupacken kann an dem Abend jedenfalls nicht schaden.