Kölner MusikfilmfestivalDas sind die Höhepunkte von See the Sound – einer davon ist problematisch

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Cyndi Lauper. Photo Credit: Portrait by Timothy Greenfield-Sanders.

Auch 80er-Ikone Cyndi Lauper wird mit einer Dokumentation gewürdigt

Dokus über Cyndi Lauper, Die Antwoord oder Pink Floyd: See the Sound bietet (beinahe) alles, was Popmusik ausmacht. Auch die Skandale.

Selbst die Zensoren verzweifelten bei Little Richard, denn wie sollten sie verbieten, was sie nicht einmal verstanden? „A wop bop a loo bop a lop bam boom“ bedeutete alles und nichts, nämlich alles für die Jugend und nichts für die Erwachsenen, die sich ratlos über diese neue, Rock’n’Roll genannte Geheimsprache aus Schreien, Stöhnen und Gestammel beugten. Für Nik Cohn war Richards Musik der Urknall des Pop, und wenn man die Aufnahmen sieht, die Lisa Cortés in ihrer HBO-Produktion „Little Richard: I Am Everything“ versammelt, kann man ihm nur zustimmen.

Little Richard war eine explosive Mischung aus Energie, Wut, religiöser Verzückung und Queerness – letzteres blieb in den 1950er Jahren noch etwas unterbelichtet. Wie von einem anderen Stern fanden ihn die weißen Macho-Rocker, die später sein Erbe antraten – es war derselbe Planet, auf dem auch Liberace lebte, mit dem sich Richard bei einem TV-Auftritt verglich. Damals staunte der Moderator, während wir uns allenfalls darüber wundern, warum sich Cortés bei ihrem fantastischen Material nicht etwas mehr Freiheiten von der üblichen Dramaturgie des Musikdokumentarfilms nimmt.

Diesem Genre ist in Köln seit einigen Jahren ein eigenes Festival gewidmet – am 3. Juli beginnt See the Sound, ein Ableger des Musikfilmkongresses Soundtrack Cologne, mit einer Auswahl herausragender, wenn auch mitunter recht konventioneller Musikdokus. Gezeigt werden mehr als 30 Programme, musikalisch ist von Cyndi Lauper bis Die Antwoord beinahe alles aus dem Popspektrum dabei.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Rechter Terror und Bossa Nova

Ein Mann sitzt am Klavier, eine Frau schaut ihm beim Spielen zu.

Fernando Truebas „They Shot the Piano Player“ handelt vom Schicksal des Bossa-Nova-MusikersTenório Júnior

Auch Fernando Trueba folgt in seinem Film über den brasilianischen Pianisten Tenório Júnior ausgetretenen Pfaden, die allerdings durch ein elegant animiertes Trickfilm-Brasilien führen. Er schickt einen New Yorker Journalisten auf die Suche nach Tenório, der lediglich eine LP aufnahm, 1976 unter ungeklärten Umständen in Argentinien verschwand und heute als Neuerer des Bossa Nova gilt. Durch eine Serie an Begegnungen kommt der von Jeff Goldblum gesprochene Held der Wahrheit auf die Spur: Tenório wurde während des argentinischen Militärputsches von der rechten Junta entführt, gefoltert und ermordet.

Im Grunde begegnen uns in „They Shot the Piano Player“ ein paar Dokumentarfilmklischees zu viel: sprechende Köpfe, stilisierte Rückblenden, eine konstruierte Detektivgeschichte, und ein etwas unbedarfter Held, der seine Recherchereise antritt, ohne auch nur den englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zu Brasilien zu kennen. Dort ist jedenfalls die im Film ungläubig bestaunte „Operation Condor“ vermerkt, ein (nicht mehr) geheimer Pakt südamerikanischer Diktaturen, um, unter Mithilfe der CIA, ins Ausland geflohene Regimegegner verfolgen und ermorden zu können. Aber all diese Makel fallen dank der unaufdringlichen Animation Javier Mariscals kaum ins Gewicht.

Und noch mehr Brasilien, via L.A.

Szene aus der Dokumentation "Elis & Tom"

Elis Regina und Antônio Carlos Jobim

Wir bleiben in Brasilien, zumindest mit dem Herzen. Im Februar 1974 trafen in den MGM Studios in Los Angeles zwei der größten brasilianischen Musikstars aller Zeiten aufeinander: die ungestüme Sängerin Elis Regina und der erzcoole Antônio Carlos Jobim, Vater des Bossa Nova. Man will ein gemeinsames Album aufnehmen. Die Idee leuchtet sofort ein, doch es hakt an der Umsetzung. Jobim ist Minimalist, seine Lieder verbergen ihre komplexen harmonischen Strukturen hinter größtmöglicher Einfachheit. Regina kann als Sängerin so gut wie alles, umso schwerer fällt es ihr, sich zu beschränken. Bossa Nova, lästert sie einmal, das ist doch nur für Leute, die nicht singen können.    

„Elis & Tom“ – die Doku von Roberto de Oliveira und Jom Tob Azulay trägt schlicht den Namen des legendären Albums – zeigt anhand von 16-Millimeter-Aufnahmen des Aufnahmeprozesses und Interviews mit einigen der damals Beteiligten, wie sich die beiden entgegengesetzten Pole zögerlich einander annähern. Ein faszinierendes Puzzlespiel, bei dem am Ende nicht alle Teile zusammenpassen, ein Geheimnis bleibt. Wie sich das für große Kunst gehört. 

Die ungewöhnliche Cyndi Lauper

Cyndi Lauper-Doku Let the Canary Sing

Szene aus der Cyndi-Lauper-Doku „Let the Canary Sing“

Cyndi Lauper, Ikone der 1980er, erlebt gerade so etwas wie eine Renaissance. Schulmädchen singen „Girls Just Want to Have Fun“, die Musikseite „Pitchfork“ widmet ihrem Debütalbum „She's So Unsual“ einen langen Essay und die Künstlerin selbst, inzwischen 71 Jahre alt, annonciert ihre Abschiedstournee. Jetzt ist mit „Let the Canary Sing“ auch eine Dokumentation über Lauper erschienen, wer sie auf dem Festival verpasst, findet sie bei Paramount+. 

Alison Ellwood hat vor ein paar Jahren einen exzellenten Film über die Frauen-Pop-Punk-Band The Go-Go's gedreht. Laupers Pioniertaten sind ähnlich beeindruckend und was die Regisseurin zur schwierigen Kindheit der Sängerin aus Queens zu erzählen hat – und zu ihrem zermürbenden Kampf darum, endlich gehört zu werden –, bewegt sich auf ähnlich hohem Niveau. Herausragend ist die Passage, in der Lauper widerwillig einem misogynen New-Wave-Song ein völlig neues Soundkostüm verpasst und zu einer feministischen Hymne umschreibt: Frauen wollen eben genauso viel Spaß haben wie Männer. Laupers Ruhm überlebte das Jahrzehnt nicht. Die Auflistung ihrer späteren Erfolge und Misserfolge handelt Ellwood dann leider als unkritische Pflichtübung ab.  

Syd Barretts schnelles Verglühen

Szene aus "Have You Got It Yet? The Story Of Syd Barrett And Pink Floyd" (2023)

Pink-Floyd-Gründer Syd Barrett

Die traurige Geschichte des Pink-Floyd-Gründers Syd Barrett ist eigentlich auserzählt, unter anderem von seiner ehemaligen Band auf deren klassischen Album „Wish You Were Here“. Was hat Regisseur Roddy Bogawa dem noch hinzuzufügen? Zumal sich sein Film „Have You Got It Yet? The Story of Syd Barrett and Pink Floyd“ aus den üblichen sprechenden Köpfen und suggestiven Spielszenen zusammensetzt. Doch letztere schließen gekonnt an das ästhetische Universum des Grafikbüros Hipgnosis an, verantwortlich für die ikonischsten Pink-Floyd-Albumcover. Und die Interviews hatte noch der 2013 gestorbene Hipgnosis-Gründer Storm Thorgerson persönlich geführt, ein Jugendfreund Barrets.

Es handelt sich also eher um Gespräche unter Freunden, allerdings Gespräche über ein Thema, das die meisten von ihnen Jahrzehnte lang gemieden haben. Wie konnte der beste von ihnen, der brillante Barrett, die prägende Figur der psychedelischen Revolution in England, nur derart schnell verglühen? War es ein schlechter LSD-Trip, eine ererbte Veranlagung zur Psychose, der immense Druck des plötzlichen Ruhms? Hätte man das womöglich selbst verhindern können? Die verwendeten Mittel mögen allzu bekannt sein, aber in seiner unbequemen Nähe, in seiner Verweigerung eines versöhnlichen Endes ist „Have You Got It Yet?“ herausragend.

Die Antwoord lässt viele Fragen offen

Szene aus "Zef- The Story of Die Antwoord"

Ninja und Yolandi Visser von Die Antwoord

Vor 15 Jahren gelang dem Rave-Rap-Projekt Die Antwoord aus dem südafrikanischen Kapstadt eine künstlerische Irritation, die weltweit Wellen schlug. Handelte es sich bei dem rappenden Pärchen Ninja und Yolandi Visser um auf Afrikaans fluchende, in neonfarbenen Shorts gekleidete, weiße Subproleten? Oder reihten sie sich in die Tradition des Freakshow-Surrealismus ein, wie man ihn auch bei Tod Browning, David Lynch oder Harmony Korine findet? 

Live trampelten die mit rasenden Gabber-Beats unterlegten Hip-Hop-Tracks jeden Einordnungsversuch schnell zu Boden, ihre Videos aber lieferten ausreichend Anschauungsmaterial für mehrere Seminararbeiten in Kunstgeschichte. An deren Ästhetik knüpft der Filmemacher Jon Day mit seiner Doku „Zef – The Story of Die Antwoord“ an, drückt aber ein wenig auf die Bremse und überlässt Sixteen Jones, der Tochter des exzentrischen Duos, die Erzählerrolle. Wodurch der Film etwas Märchenhaftes gewinnt. Dies scheint jedoch vor allem dazu zu dienen, die zahlreichen Anschuldigungen, denen sich Die Antwoord in den vergangenen Jahren ausgesetzt sahen, rosarot zu übermalen. Die Vorwürfe reichen von kultureller Aneignung bis zu Vergewaltigung und moderner Sklaverei, ignorieren kann man sie nicht. Weshalb „Zef“ wohl nur mit einer gewissen Konträrfaszination als hochpoliertes Propagandaprodukt zu genießen ist. 


See the Sound, 3. bis 7. Juli 2024, Köln, verschiedene Spielorte. Tickets und weitere Informationen unter www.seethesound.de