Theaterfestival Impulse in KölnNoch Boheme oder schon Unterschicht?

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Christiane Rösinger: Die große Klassenrevue - Impulse Festival

Christiane Rösinger: Die große Klassenrevue - Impulse Festival

Im Depot 2 des Kölner Schauspiels eröffnete das Impulse-Festival, die Leistungsschau der Freien Tanz- und Theaterszene in Deutschland, Österreich und der Schweiz.  

Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht? Die Frage stellen sich wohl ab und an die meisten der frei arbeitenden Bühnenschaffenden, die vor dem Depot für vegane Hot Dogs anstehen, die man anschließend mit einem Glas Gratis-Sekt herunterspült. Am Mittwochabend wurde in Köln-Mülheim das „Impulse Theater Festival“ mit Christiane Rösingers „Die große Klassenrevue“ eröffnet. Die ehemalige Sängerin der legendären Lassie Singers hat die bange Frage mit schmissiger Musik unterlegt, so schwebt denn auch nicht wenig Stolz auf die selbst gewählten prekären Verhältnisse mit hinein.

Denn im Zweifel möchte man doch lieber zur Unterschicht gehören - hart arbeitend, frei vom Dünkel und vom Abgrenzungswahn des Bildungsbürgertums, solidarisch und nicht so asozial wie die vereinzelten Erben in den Villenvierteln. Man reimt, dass es nur so schüttelt, stimmt Paul Youngs „Love of the Common People“ an, schreibt „My Fair Lady“ zu „My Fail Lady“ um: Eine höhere Tochter aus der Bühnenband will sich mühsam zur Working-Class-Heldin umerziehen lassen. Das scheitert erst, als sie im letzten Schritt auf ihr Erbe verzichten soll: „Freiwillig funktioniert das nicht“, kommentiert Rösinger.

Stefanie Sargnagel gibt die Erbscham-Therapeutin

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Später betritt die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel im Gewand einer explodierten Zitrone als „Neiddebatte“ die Bühne. In der darauffolgenden Nummer stellt sie sich als Erbscham-Therapeutin vor, den armen Erben müsse doch geholfen werden. Am besten durch Umverteilung. Damit hätte der bunte Abend aus Berlin enden können, Rösinger hat ihn zusammen mit dem HAU Hebbel am Ufer produziert. Aber dann rettet er sich noch einmal in trotzige Sozialromantik von der Würde der Armut. Es geht um die ausbleibende Rente, die Performer haben sich als Bremer Stadtmusikanten kostümiert, etwas Besseres als den Tod suchen sie aber natürlich einmal mehr in Berlin. So bringt man den Ist-Zustand auch nicht ins Wanken.

Aber dass auf einer deutschen Bühne überhaupt einmal von Klassenverhältnissen die Rede ist, auch davon, wer sich Kunstgenuss und -produktion leisten kann, dafür muss man dem enorm vergnüglichen Abend freilich dankbar sein. „Die im Dunkeln sieht man nicht“, singt das Ensemble frei nach Brecht, „die sind alle Mittelschicht.“ Die „Klassenrevue“ ist in Berlin ein großer Publikumserfolg und auch die Vorstellungen in Köln sind leider bereits ausverkauft.

In Mülheim an der Ruhr hat das Impulse-Festival ein Freibad auf dem Trockenen aufgebaut

Das Impulse-Festival, 1990 vom NRW-Kultursekretariat initiiert, zeigt nicht nur die bemerkenswertesten Arbeiten der Freien Szene aus Deutschland, Österreich und der Schweiz - seit 2015 wieder alljährlich - es denkt dabei auch stets über die Bedingungen nach, unter denen diese Arbeiten entstanden sind. Haiko Pfost, der das Festival seit 2018 künstlerisch leitet und sich mit der aktuellen Ausgabe verabschiedet, hat dieses Nachdenken mit einer Akademie quasi institutionalisiert. Als dritten Programmschwerpunkt neben dem Diskurs und den Showcases herausragender Inszenierungen hat Pfost das Stadtprojekt ins Leben gerufen. Das beschäftigt sich oft mit dem Verlust von öffentlichem Raum, mit der Frage, wem die Stadt eigentlich gehört.

Das diesjährige Stadtprojekt heißt „Schwimm City – ein Bad für alle?“ und eröffnet in Mülheim an der Ruhr für elf Tage ein Freibad auf dem Trockenen, inklusive historischer Bademodenschau, einer Performance der örtlichen Unterwasser-Rugby-Mannschaft und einer Pommes-Bude, die neben Fritten auch schmalzige Schlager herstellt. Aber selbstredend ist der Verlust städtischer Schwimmbäder und der Rückzug an den Privatpool (für die, die es sich leisten können), ein ernstes Thema. Hier steht er sinnbildlich und auch ganz konkret für den Verlust an gelebter Öffentlichkeit, an Gesellschaft.

Auch die Impulse stehen auf dem Trockenen, zumindest wenn es um Abspielorte geht. Dieses Jahr beherbergt Köln die Showcases, aber eben nur zum Teil. Die ausgewählte Wiener Produktion „Der Rosa Winkel – Die Geschichte der Namenlose“ ist schlicht zu groß, als dass sie nach NRW verfrachtet werden könnte. Die Gruppe Nesterval lässt das Publikum in die Schicksale von acht Menschen eintauchen, die während der NS-Zeit verfolgt wurden. Dazu hat das immersive Theater 30 begehbare Bühnenbilder in einer Halle gebaut, das sprengt das Budget des Festivals.

Und Marina Davydovas „Museum of Uncounted Voices” findet in der Bonner Bundeskunsthalle Unterschlupf, in Köln fehlt ein ausreichend großer Raum. Die Studiobühne, seit jeher Kooperationspartner des Festivals vor Ort, sucht nun schon seit drei Jahren vergeblich ein Interimsquartier. Und als der Kölner Kulturdezernent Stefan Charles etwas überschwänglich lobt, dass nun fast das ganze Festival im Depot stattfinde, widerspricht ihm Haiko Pfost energisch: „Wir haben nur drei Spieltage hier.“

Kulturrat NRW warnt vor Kürzungen in der hiesigen Kulturszene

Ist das noch Boheme oder schon Unterschicht? Anscheinend hat Charles das Wunschdenken der Unterprivilegierten schon verinnerlicht. Dabei befinde sich die Nachnutzung des Depots unter anderem durch die Freie Szene – irgendwann wird das Schauspiel Köln ja doch an den Offenbachplatz zurückziehen können – laut dem Dezernenten auf dem besten Weg: „Wir wollen einen 15-Jahres-Vertrag zu guten Mietkonditionen eingehen.“ 

Doch die Verhältnisse bleiben unsicher. NRW-Kulturministerin Ina Brandes lobt die Nähe des Festivals zu den Themen der Gesellschaft und die Freie Szene NRWs als wichtigen Faktor der hiesigen Kulturlandschaft. Am Tag zuvor hatte der Kulturrat NRW in einer Pressemitteilung die Ministerin aufgefordert, sich vor die Künstlerinnen und Künstler des Bundeslandes zu stellen: Nach der Veröffentlichung der aktuellen Steuerschätzung stehe zu befürchten, dass sich die seit Monaten kursierenden Gerüchte um Kürzungen in der NRW-Kulturszene bewahrheiten könnten. Theaterhäuser, Tanzfestivals, Filminstitutionen und viele einzelne Kunstschaffende seien in ihrer Existenz bedroht. So schnell wird die Boheme zur Unterschicht. Ärmer wären wir dann alle.

Das Impulse Theater Festival findet noch bis zum 9. Juni in Köln, Mülheim an der Ruhr und Düsseldorf statt. Das ganze Programm finden Sie unter impulsefestival.de