Wallraf Street Art Festival„Uns geht es nicht darum, Wallraf zu ehren und zu feiern“

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Wallraf Richartz Museum & Fondation Corboud, Johann Anton de Peters, Bildnis Ferdinand Franz Wallraf, 1792, Leinwand, 75,5 x 59,5 cm

Wallraf Richartz Museum & Fondation Corboud, Johann Anton de Peters, Bildnis Ferdinand Franz Wallraf, 1792, Leinwand, 75,5 x 59,5 cm

Was hat der Sammler Wallraf mit Streetart zu tun? Mehr als wir denken, sagt die Architekturhistorikerin Gabriella Cianciolo im Gespräch über das „WASTA“-Festival. 

Frau Cianciolo, Sie sind Leiterin des Festivals „Wallraf Street Art“ (WASTA), das am 5. September in Köln startet. Ferdinand Franz Wallraf und Streetart – wie passt das zusammen?

Gabriella Cianciolo: Auf den ersten Blick überhaupt nicht – schließlich hat Wallraf keine Graffitis in der Stadt gesprüht. Doch bei genauerem Hinsehen passt es sehr gut, denn Wallraf hat viele Facetten. Er war Forscher, Professor, Konservator, Sammler, aber unter anderem auch Meister der Epigraphik. Dieser weniger bekannte Aspekt seiner Arbeit hat mein Interesse geweckt. Wallraf verfasste zahlreiche monumentale Inschriften für besondere Anlässe, Feierlichkeiten oder Empfänge, wie etwa den Besuch Napoleons in Köln im Jahr 1804. Diese Inschriften bestanden aus Sprüchen, Zitaten oder Epigrammen in lateinischer Sprache und wurden aus Holz, Gips oder anderen vergänglichen Materialien gefertigt. Die ephemeren Inschriften, die an Hauswänden in den Straßen Kölns angebracht wurden, waren eine Form der öffentlichen Kommunikation – und das hat dann doch etwas mit Streetart gemeinsam.

Also Streetart als moderne Fortsetzung der Epigraphik des 18. Jahrhunderts?

Alles zum Thema Wallraf-Richartz-Museum

WASTA greift diesen Aspekt von Wallrafs Wirken auf und aktualisiert ihn, indem die Stadt durch Streetart beleuchtet wird. So führen wir seine Intention weiter. Gleichzeitig ist Streetart ein bedeutender Bestandteil der Kölner Kunst- und Kulturszene. Köln ist bekannt für Streetart und Graffiti. WASTA verbindet daher zwei Traditionen dieser Stadt auf neue Weise: Wallrafs Epigraphik und die heutige Streetart.

Anlass des Festivals ist der 200. Todestag des Sammlers und Gelehrten. Versteht sich das Festival als Teil der aktuellen Jubiläumsfeiern?

Uns geht es nicht darum, Wallraf zu ehren und zu feiern, sondern subtiler die Vergangenheit und Gegenwart in Verbindung zu bringen mithilfe von kritischen und kreativen Ansätzen der Kunst und der Wissenschaft. Wir wollen sein Erbe – sowohl das materielle als auch das intellektuelle – untersuchen, hinterfragen und mit zeitgenössischen Kontexten konfrontieren. Wir verbinden Wissenschaft und Kunst, Vergangenheit und Gegenwart – und wollen damit ein breites Publikum erreichen, deswegen ist unser Ansatz so spielerisch und niederschwellig.

Wie möchten Sie das konkret umsetzen?

Mit Kunst im öffentlichen Raum. In Köln wird an sehr vielen Orten Kunst entstehen und die Leute überraschen. Der öffentliche Raum wird zur Bühne, Tag und Nacht geöffnet, kostenlos zugänglich. Wir haben minimale Interventionen mit Bierdeckeln bis hin zu riesigen Murals oder Skulpturen, virtuelle Kunst, Graffiti und Sound. Es wird auf jeden Fall sehr vielfältig. Die Künstler bauen für das Festival ein Netz von Kunstwerken, die sich alle mit Wallrafs Erbe auseinandersetzen, sich räumlich über die ganze Stadt, und zeitlich über mehrere Tage oder Wochen erstrecken.

Das heißt Sie wissen noch nicht, wie lange die Kunstwerke bleiben werden?

Das variiert je nach Ort und Installation. Es gibt ein Mural, das dauerhaft erhalten bleiben soll, während andere Werke nach dem Festival wieder entfernt werden. Bei den meisten Kunstwerken wollen wir das jedoch bewusst nicht beeinflussen und planen. Das ist eben das Schicksal von Streetart: man kann nie wissen, ob ein Werk überlebt, oder ob es durch Verwitterung oder Vandalismus zerstört wird. Wir wissen also nicht genau, wie lange die Werke an ihrem Ort überleben werden.

Sie sagten, Sie möchten sich in dem Projekt auch kritisch mit dem Erbe von Wallraf auseinandersetzen. An welchen Stellen ist das nötig?  

Wir haben über zwei Semester hinweg in unterschiedlichen Seminaren intensiv zu Wallraf gearbeitet. Zu Beginn haben wir uns inhaltlich mit seinen Texten auseinandergesetzt. Sein materielles Erbe ist bekannt: Bücher, Kunstwerke, Objekte, Antiquitäten, Gemälde und Mineralien. Doch wir haben uns gefragt: Was waren seine Ideen? Dabei sind wir – was in jener Zeit nicht unüblich war – auf sexistische Aussagen gestoßen. Das thematisieren wir jetzt mit feministischen Ansätzen. Auch das Sammeln als kulturelle Praxis wird aus postkolonialer Perspektive kritisch hinterfragt. Die Künstlerin Nieves de La Fuente setzt sich in ihrer AR-Installation auf dem Melatenfriedhof mit diesem Themenkomplex auseinander.

In diesem Jubiläumsjahr ist auch eine irritierende Passage über „die Juden“ im Werk Ferdinand Franz Wallrafs aufgetaucht, wie diese Zeitung berichtete.

Ja, auch das beschäftigt uns. In dem Artikel ging es um die antijudaistische Äußerung in einer Fußnote einer seiner Texte. Aus diesem Grund bieten wir eine Führung in Kooperation mit dem „MiQua“ an, um dieses Thema kritisch zu beleuchten. Aber auch die Künstlerinnen und Künstler setzen sich in ihren Werken bewusst kritisch mit diesen Themen auseinander.

Die Künstler greifen auch zeitgenössische Themen auf, die auf den ersten Blick wenig mit Wallraf und seiner Zeit zu tun haben.

Ja, sie haben sehr unterschiedliche und interessante Verbindungen gefunden. Jovita Majewski thematisiert beispielsweise durch ihre Installation eines brennenden Baumes den Klimawandel. Damit greift die Künstlerin das Thema Feuer auf, das auch Gegenstand von Ferdinand Franz Wallrafs Dissertation war. Es ist sehr spannend zu sehen, wie er dieses Element damals erforscht und beschrieben hat, und wie wir es heute – etwa wegen der Waldbrände in Südeuropa und weltweit – ganz anders empfinden. Bei vielen Kunstwerken mag man sich auf den ersten Blick vielleicht fragen: Was hat das mit Wallraf zu tun? Doch die Verbindung ist immer da – nur vielleicht etwas versteckter.

Das „Wallraf Street Art Festival“

Das „Wallraf Street Art Festival“ (WASTA) findet vom 5. bis 15. September an unterschiedlichen Orten Kölns statt. Insgesamt 11 Kunstinstallationen von Künstlerinnen und Künstlern aus Köln und dem Ausland erstrecken sich über den Kölner Stadtraum. Von Interventionen mit Bierdeckeln, virtueller Kunst, bis hin zu riesigen Murals und Skulpturen, Graffitis und Sound – jeden Tag wird ein neues Kunstwerk eröffnet. Zusätzlich gibt es ein Rahmenprogramm mit Führungen und Workshops. Ziel des Festivals ist eine öffentliche, kritische und kreative Auseinandersetzung mit der Figur Wallrafs.

Hinter WASTA stehen Studierende und Mitarbeitende des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln sowie der Universitäts- und Stadtbibliothek. Gemeinsam haben die Studierenden in einem Seminar über zwei Semester hinweg zu Wallraf gearbeitet, die Festivalwoche organisiert, und als Co-Kuratorinnen die Künstler betreut. Historisch-inhaltlich wird das Projekt vom Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit und vom Institut für Linguistik begleitet. Das Projekt findet im Rahmen des laufenden Jubiläumsjahres „Wallraf200“ statt.


Auftaktveranstaltung mit Begrüßung und Eröffnung des ersten Kunstwerks, 5. September, ab 18 Uhr in der Kunstbar am Dom, Chargesheimerplatz 1, Köln. Das gesamte Programm ist auf www.wasta-projekt.de abrufbar. Alle Veranstaltungen sind kostenlos, für manche ist eine vorige Anmeldung nötig.