Drohende Schwerpunkt-StreichungMechernicher Chefärzte erklären mögliche Folgen für Familien

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Zwei Männer in blauen Shirts und eine Frau in weißem Arztkittel, Wael Shabanah, Dr. Herbert Schade und Dr. Tatjana Klug betrachten ein neugeborenes Kind auf der Kinderintensivstation im Kreiskrankenhaus Mechernich.

Um die kleinen Sorgenkinder kümmern sich im Mechernicher Kreiskrankenhaus die Chefärzte Wael Shabanah (l.) und Dr. Herbert Schade, hier mit Dr. Tatjana Klug, Chefärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Bei der NRW-Krankenhausplanung droht dem Kreiskrankenhaus Mechernich der Verlust des perinatalen Schwerpunkts. Eine Petition sorgt für Debatten.

Die Wege sind kurz im Kreiskrankenhaus Mechernich: Einmal über den Flur, schon ist der Wechsel von der Geburts- zur Kinderstation vollzogen. Entsprechend eng ist die Zusammenarbeit zwischen den beiden Kliniken im Haus, die gleichermaßen hart von der im Anhörungsbogen zur Krankenhausplanung vom NRW-Gesundheitsministerium vorgesehenen Streichung des perinatalen Schwerpunkts getroffen würden.

Die Chefärzte Dr. Tatjana Klug (Frauenheilkunde und Geburtshilfe) sowie Dr. Herbert Schade und Wael Shabanah (Kinder- und Jugendmedizin) skizzieren gemeinsam ihre Arbeit in Mechernich und welch drastische Einschnitte die Streichung bedeuten würde, sollte im Dezember tatsächlich ein negativer Bescheid aus Düsseldorf kommen.

Rund 400 Kinder könnten nicht in Mechernich geboren werden

Alles zum Thema Karl-Josef Laumann

Sie zeigen eine Karte mit den Kliniken von Aachen über Düren, Köln und Bonn bis hinunter nach Neuwied und Wittlich, wo Kinder geboren und auf welchen Leveln sie in Kinderkliniken versorgt werden können. Mechernich liegt da mittendrin. Und es enstünde mit der Streichung des Schwerpunkts eine weite, weiße Fläche.

Wenn bei einer Frau aus Hellenthal in der 35. Schwangerschaftswoche die Fruchtblase platzt und die Wehen einsetzen, hat sie keine Option mehr, in 20 Minuten in Mechernich zu sein und unter gesicherten und optimalen Bedingen zu entbinden.
Dr. Tatjana Klug, Chefärztin

Ja, zur Geburt können die Frauen weiterhin Mechernich ansteuern – wenn denn keine Risikofaktoren bestehen. Doch die können vielfältig sein, wie die Ärzte erklären: Bluthochdruck, Diabetes, das Kind ist vielleicht nicht optimal versorgt worden, es ist zu klein, es ist zu groß. Und so summieren die Zahlen sich auf: Statt der im Anhörungsbogen vom Ministerium genannten 30 Fälle wären es rund 400 der etwa 1000 Geburten pro Jahr, die nicht mehr in Mechernich stattfinden könnten. Und die Zahlen steigen: In diesem Jahr rechnen die Mechernicher erneut mit 15 Prozent mehr Fällen, die unter dem Gesichtspunkt des Schwerpunkts zu betreuen sind.

Betroffen wären längst nicht nur Familien aus dem Kreis Euskirchen: Gerade wegen des perinatalen Schwerpunkts entscheiden sich auch viele Frauen aus den angrenzenden Kommunen in Rheinland-Pfalz oder aus den über die A1 gut erreichbaren Teilen des Rhein-Erft-Kreises für Mechernich.

Auf die werdenden Mütter würden sehr lange Fahrtzeiten zukommen

Die Frauen müssten sich umorientieren – Richtung Aachen, Düren, Köln, Bonn oder Neuwied. Die Folgen skizziert Klug: „Wenn bei einer Frau aus Hellenthal in der 35. Schwangerschaftswoche die Fruchtblase platzt und die Wehen einsetzen, hat sie keine Option mehr, in 20 Minuten in Mechernich zu sein und unter gesicherten und optimalen Bedingen zu entbinden. Stattdessen muss sie 50 bis 60 Minuten im Rettungswagen gefahren werden.“ Und das – sie blickt ihre Kollegen an –, obwohl in Mechernich auch die weitere Versorgung mit der Kinder- und der Kinderintensivstation sichergestellt werden könnte.

Womit die drei beim Rettungsdienst sind: Es steige die Gefahr einer Geburt im Rettungswagen, wo Mutter und Kind wahrlich schlechter versorgt seien als in der Klinik.

Zudem steige die Gefahr der „Fehlalarme“: Wenn sie wissen, dass eine weite Strecke zu fahren ist, rufen die Frauen eher früher den Rettungsdienst oder machen sich auf den Weg in die Klinik – wo sie laut Schade für drei, vier Tage ein Bett belegen. Ein Bett, das gerade in den Spezialkliniken womöglich für andere Fälle dringend gebraucht würde.

Die Unikliniken werden durch Mechernich entlastet

Hier kommt das Zusammenspiel der Kliniken zum Tragen. Die Perinatalzentren in den Unikliniken (Level 1 und 2) leisten die Versorgung der schwersten Fälle: extreme Frühchen und schwere angeborene Fehlbildungen etwa, die eine noch deutlich intensivere Behandlung und apparative Ausstattung erfordern als im Level 3, dem perinatalen Schwerpunkt in Mechernich.  

So wird nicht zehn Wochen lang ein Platz im Maximalversorger Uniklinik blockiert. Wir entlasten also die Unikliniken.
Dr. Herbert Schade, Chefarzt

Logisch: Stellt sich nach der Geburt in Mechernich heraus, dass ein Kind die Level 1- oder Level 2-Versorgung benötigt, wird es verlegt, in der Regel nach Bonn. Ist dieser Versorgungslevel nicht mehr nötig, aber ein weiterer Krankenhaus-Aufenthalt erforderlich, werden die Kinder zurückverlegt und heimatnah behandelt. Schade präzisiert: „Wenn ein Frühchen in der 25. Woche entbunden wurde, in der Uniklinik den ersten Teil des Lebens geschafft hat und stabil ist, wird es nach Mechernich verlegt und bleibt bis zum errechneten Geburtstermin.“

Zwei bis drei dieser Fälle gebe es pro Monat: „So wird nicht zehn Wochen lang ein Platz im Maximalversorger Uniklinik blockiert. Wir entlasten also die Unikliniken.“ Vor dem Hintergrund kommt es nicht von ungefähr, dass sich die Uniklinik Bonn in einer Stellungnahme eindeutig für den Verbleib des perinatalen Schwerpunkts in Mechernich ausspricht.

Auch das Marien-Hospital Euskirchen profitiert von dem Schwerpunkt

Auch bei reif geborenen Kindern können bei oder nach der Geburt Notfälle oder Probleme auftreten, so Shabanah: Erkrankungen, Infektionen, Neurologisches. Für alles sei man in Mechernich gerüstet – personell, apparativ, auch mit der Kinderintensivstation.

Davon profitiert durch eine Kooperation auch das Marien-Hospital in Euskirchen, das keine Kinderstation hat. „Wenn dort ein Kind schlecht startet oder es Auffälligkeiten gibt, fährt ein Team von uns hin“, sagt Shabanah.

Chefärzte sind besorgt, ob das Personal bleiben würde

Ein Team – Personal also. Hier lauern gleich die nächsten Probleme, sollte die Streichung Mechernich treffen. In der jetzigen Konstellation und mit dem breiten Spektrum der durchgeführten Behandlungen biete man einen attraktiven Arbeitsplatz. Die Qualität werde immer wieder nachgewiesen, etwa durch das Babyfreundlich-Zertifikat oder die Überprüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, in der man gerade „mit Glanz und Gloria“, so Schade, alle Kriterien erfüllt habe.

Die Ausbildung junger Ärzte sei ein wichtiger Schwerpunkt, da alle Chefärzte über die entsprechende Weiterbildungsermächtigung verfügen. Sollte Mechernich jedoch auf das Niveau einer „normalen Geburtsklinik“ zurückfallen, werde es schwer, Personal zu gewinnen. Und das vorhandene, so Klugs Befürchtung, könnte dem Kreiskrankenhaus den Rücken kehren. „Personalbindung“, sagt sie, „ist die hohe Kunst.“ Und sie selbst? Schade und Shabanah sind auch mit Leib und Seele Intensivmediziner – würden sie bleiben? Da lässt sich keiner der drei zu einer klaren Aussage hinreißen. So weit ist es ja auch noch nicht.

Mechernicher fühlen sich von der Politik vor Ort unterstützt

Auch wenn die Unsicherheit in den Teams spürbar sei: Eine Entscheidung ist im Gesundheitsministerium noch nicht getroffen. Zudem fühlen sie sich nicht alleine gelassen. Von der Politik im Kreis, so die Mechernicher, werde man unterstützt – ob es Landrat Markus Ramers sei, SPD-Chef Thilo Waasem oder die CDU-Landtags- und Bundestagsabgeordneten Klaus Voussem und Detlef Seif. „Alle sind sehr engagiert, mit uns in den Kampf zu ziehen“, formuliert es Klug.


Eine Online-Petition der SPD sorgt für Wirbel

Wütend und besorgt sind die einen (SPD), besorgt und verärgert die anderen (CDU). Um den Umgang mit der drohenden Streichung des perinatalen Schwerpunkts im Kreiskrankenhaus Mechernich streiten die beiden Parteien im Kreis.

Eine Online-Petition dazu mit dem Titel „Rettet die Geburten im Kreis Euskirchen / Schließung des perinatalen Schwerpunkts stoppen“ hat SPD-Kreisparteichef Thilo Waasem gestartet. Zu sehen ist ein Foto eines Neugeborenen, dazu der Bildtext „Gib mir eine Chance, in meiner Heimat geboren zu werden!“. Knapp 3300 Unterstützer haben die an NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gerichtete Petition auf der Plattform openpetition.de unterzeichnet (Stand Dienstagmittag).

„Die Pläne der CDU in der Landesregierung machen mich wütend. Wie kann man so weltfremd sein, zu glauben, es könnte eine gute Idee sein, Schwangere in diesen schwierigen Momenten abzuweisen und auf weite Wege zu schicken?! “, heißt es dazu von Waasem in einer Mitteilung der SPD. In der Begründung der Petition geht er zum einen auf die „fachlich hochqualifizierte Arbeit im Sinne der Mütter und Babys“ ein, die im Kreiskrankenhaus geleistet werde: „Damit haben sie vielen Babys einen Weg unter schwierigen gesundheitlichen Umständen in unsere Welt ermöglicht.“

Zum anderen sieht Waasem eine weitere Benachteiligung des ländlichen Raums, falls es zu der Schließung komme. Die lebenswichtige, zeitkritische und akute Versorgung könne dann in Mechernich nicht mehr geboten werden, was eine unzumutbare Belastung darstelle und nicht zuletzt die Gesundheit und das Leben der Frauen und Babys gefährden könnte.

CDU im Kreis Euskirchen spricht von Polemik

Von Polemik in einem Stil, den man eigentlich nur von populistischen Parteien kenne, spricht hingegen die CDU – und bezeichnet das Agieren der SPD als „unterste Schublade“. „Es ist unverständlich, dass die SPD als Landratspartei hier im Kreis bewusst eine Kampagne führt, die die Bevölkerung unnötig verunsichert, obwohl das Verfahren geordnet läuft und bereits umfassende Stellungnahmen aller relevanten Akteure abgegeben wurden“, heißt es von Kreisparteichef Ingo Pfennings in einer Mitteilung der Union. Gerade die Stellungnahme der Kreisgesundheitskonferenz – die mit den Krankenhäusern, Städten, Gemeinden und allen politischen Parteien abgestimmt sei –, lasse in ihrer scharfen Kritik an der Streichung des perinatalen Schwerpunkts nichts an Deutlichkeit vermissen.

Die Union weist die Kritik an der Landesregierung und an CDU-Minister Laumann zurück und zeigt stattdessen auf SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Dessen Vorgehen werde „zu einem Kahlschlag in allen Bereich der deutschen Gesundheitsversorgung“ führen.

Landrat Markus Ramers führt zahlreiche Gespräche

Landrat Markus Ramers hat in Sachen perinataler Schwerpunkt bereits mehrere Gespräche geführt. Offizielle und inoffizielle, wie er sagt. Unter anderem habe er mit dem Staatssekretär und der zuständigen Abteilungsleiterin im Gesundheitsministerium gesprochen. Als gut und konstruktiv bezeichnet er die Gespräche, man habe die Argumente des Kreises zumindest gehört. Eine Zusicherung habe er logischerweise noch nicht mit nach Hause bringen können. Jedoch gehen alle fachlichen Bewertungen in die Richtung, dass die Einrichtung wichtig für die Versorgung ist .

Jedoch: Am Ende, so Ramers, könnte die Frage stehen, ob das Ministerium den fachlichen Argumenten folgt oder aber politische Erwägungen im Raum stehen, weil das Ministerium möglicherweise dieses Fass nicht aufmachen möchte – aus Sorge, dass dann die gesamte Krankenhausplanung zusammenbricht.

Die Petition der SPD begrüßt der Landrat – nicht, weil sie von seiner Partei ist. Abgesprochen sei sie mit ihm ohnehin nicht gewesen. „Mir ist egal, vom wem sie kommt“, sagt Ramers: „Sie erleichtert die Arbeit in den Gesprächen.“ Dadurch könne er nicht nur Fachliches transportieren, sondern durch die Votings und die Kommentare von Betroffenen und Familien auch die Sorgen und die Stimmung der Bürger. Über den Stil könne man ja diskutieren, doch Fake News seien mit dem Petitionstext nicht verbreitet worden. „Am Ende“, sagt Ramers, „hilft alles, das dazu beiträgt, den perinatalen Schwerpunkt zu erhalten – ob das auf fachlicher oder auch auf emotionaler Seite geschieht.“ Er wünscht sich einen breiten parteipolitischen Konsens – wie in der Kreis-Gesundheitskonferenz. An parteipolitischen Spielen will er sich nicht beteiligen: „Dafür ist die Sache zu wichtig.“