Junge atmete nicht mehrVater rettet sein vierjähriges Kind nach Badeunfall mithilfe der Leitstelle

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In einem Raum sind Arbeitsplätze mit jeweils sechs Monitoren aufgebaut.

Das Nervenzentrum des oberbergischen Rettungsdienstes: Am Sonntag wurde von hier aus ein vierjähriges Kind gerettet, das im Planschbecken ertrunken war.

Am Sonntag hat die oberbergische Rettungsleitstelle bei einem Badeunfall ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Die Kapazitäten wurden ausgebaut.

Das Unglück passierte am vergangenen Sonntagmittag in Lindlar. Der vierjährige Junge atmete nicht mehr, als der Vater ihn aus dem aufblasbaren Planschbecken holte. Nachdem er bei der Rettungsleitstelle angerufen hatte, gab ihm der Mann am anderen Ende der Leitung genaue Anweisungen für die Wiederbelebung. Parallel setzte der Disponent den Rettungsdienst in Gang und bestellte einen Hubschrauber, der das reanimierte Kind nach Bonn brachte. Am Montag teilte die Klinik mit: Der Junge zeigt keine neurologischen Ausfälle.

Dr. Ralf Mühlenhaus freut sich: „Der Ablauf hat hervorragend geklappt. Und wir hatten Glück. In solchen Fällen kommt es auf die Minute an.“ Der Leiter des Amts für Rettungsdienst, Brand- und Bevölkerungsschutz der Kreisverwaltung sieht in dem Lindlarer Fall ein Paradebeispiel dafür, worauf es bei einer Rettungsleitstelle ankommt.

Morgens gibt es mehr Anrufe in Marienheide

An einem Nachmittag eine Woche zuvor geht es im Nervenzentrum des oberbergischen Rettungsdienstes ruhig zu. Es ist weniger los als etwa am Morgen, wenn der Berufsverkehr und die Herz-Kreislauf-Probleme nach dem Aufstehen die ersten Einsätze des Tages bescheren. Doch der Schein trügt auch ein wenig. An den drei von sechs Tischen, die besetzt sind, gehen auch um diese Zeit immer wieder Anrufe ein, die allerdings möglichst unaufgeregt abgewickelt werden. Laut rumgebrüllt wird hier auch in der größten Hektik nicht. Wenn ein Kollege Unterstützung braucht, schaltet er die Hilfeleuchte über seinem Tisch ein.

Die Disponenten der Rettungsleitstelle betreuen den Hilfeersuchenden am Telefon von der Abfrage des Notrufs bis zur Alarmierung der Feuerwehr und des Rettungsdienstes. Sechs Dienstzuteiler haben seit Mai einen neuen Arbeitsplatz im Großraum der Rettungsleitstelle, die der Kreis in Marienheide-Kalsbach am Rand des Windhagener Industriegebiets betreibt, vorher waren es halb so viele Plätze. Zudem wurden sie technisch aufgerüstet. Denn die Arbeit nimmt zu.

Man weiß aber nie, was dahintersteckt. Wir müssen reagieren, auch wenn nur von Kopfschmerzen die Rede ist.
Dr. Ralf Mühlenhaus, Leiter des Amts für Rettungsdienst

Etwa 320 Anrufe gehen Tag für Tag ein, 120 000 über das ganze Jahr. Ralf Mühlenhaus berichtet, dass es immer mehr Hilfesuchende gibt, obwohl die Zahl der Unfälle und Schlaganfälle in den vergangenen Jahren gleich geblieben ist. Denn oft riefen Leute unter der 112 an, die weder ein Feuer noch einen unmittelbar lebensbedrohlichen Notfall, sondern etwa einen Bandscheibenschaden melden wollen und sich eigentlich an den Hausärztlichen Notdienst unter der 116 117 wenden müssten.

Der stellvertretende Amtsleiter Achim Schmidt sagt: „Wir können die Anrufer nur dann an den hausärztlichen Notdienst verweisen, wenn wir sicher ausschließen, dass es keine lebensbedrohliche Situation ist. Sondern eben nur ein verstauchter Knöchel. Leider gibt es inzwischen eine gewisse Anspruchshaltung. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, ein teures Taxi zum Krankenhaus zu vermitteln.“

Auf Leben und Tod der Oberberger

Birgit Hähn merkt an: „Leider denken viele, dass sie den Rettungsdienst wie eine Dienstleistung buchen können.“ Die zuständige Dezernentin des Kreises hielte es für konsequent, wenn das Notrufsystem über eine einzige Nummer verlaufen würde, und an dieser Stelle der Hilfsbedarf festgestellt und delegiert würde. „Derzeit sind wir die Rückfallebene für alle Fälle.“

Nicht selten, sagt Ralf Mühlenhaus, riefen ältere Leute an, die unter Vereinsamung leiden. „Man weiß aber nie, was dahintersteckt. Wir müssen reagieren, auch wenn nur von Kopfschmerzen die Rede ist.“

Denn wenn das Telefon klingelt, geht es auch immer wieder um Leben und Tod. So wie am Sonntag bei dem vierjährigen Kind. Die Disponenten in der Leitstelle sind sowohl als Berufsfeuerwehrleute als auch als Rettungsassistenten ausgebildet und haben Einsatzerfahrung. Dennoch gehört zur neuen Ausstattung der Arbeitsplätze eine digitale Anleitung mit bewährten Formulierungshilfen („Der Notarzt ist zu ihnen unterwegs“) für das Standardverfahren, das Punkt für Punkt abgearbeitet wird.

Schicht dauert 24 Stunden

Als Achim Schmidt vor 17 Jahren bei der Leitstelle angefangen hat, war die Funktechnik noch analog. Damals gab es 14 Disponenten, heute sind es 40. Der gelernte Elektroinstallateur und stellvertretende Amtsleiter berichtet, dass es neben den sechs Tischen im vergrößerten Leitstellenraum noch sechs Arbeitsplätze gibt, bei denen die Anrufe bei Großschadenslagen angenommen werden. Im Normalbetrieb treten sechs Disponenten um 7.30 Uhr ihre 24-Stunden-Schicht an, danach haben sie einen Tag lang frei.

Die Arbeit ist anstrengend. Im Normalbetrieb beschäftigen sich drei Disponenten mit Aufgaben im Hintergrund oder machen Pause. Die drei Kollegen an den Tischen müssen derweil sechs Monitore im Auge behalten. Das Einsatzleitsystem gibt eine Übersicht über die verfügbaren Einsatzmittel wie die Feuerwehrfahrzeuge, zeigt digitale Karten an und dokumentiert die Einsätze. Das Funkvermittlungssystem dient der Kommunikation mit den Einsatzkräften. Zur neuen Ausrüstung der Tische gehören eine bessere Hardware und neue Programme, die etwa den Umgang mit den Nina-Warnapp ermöglichen.

Die Rettungsleitstelle kann mit Generatoren ihren eigenen Strom produzieren. Infolge der jüngsten Krisen gibt es nun auch Satellitentelefone und ein digitales Alarmierungssystem über Pager, das im Falle eines allgemeinen Blackouts mehr als 72 Stunden lang funktioniert. Oberstes Gebot ist die Verlässlichkeit des Systems, komme was wolle. Beim nächsten Anruf kann es wieder um das Leben eines vierjährigen Kindes gehen.


Neubau geplant

Einen weiteren Ausbau der Kreisleitstelle halten die Verantwortlichen für unumgänglich. Der stellvertretende Leitstellenchef Achim Schmidt berichtet von überfüllten Serverräumen und unzureichenden Sozialbereichen: „Wir haben nur das Allernötigste gemacht und sind immer noch am Ende der Fahnenstange.“ Die in diesem und dem kommenden Jahr geplanten Investitionen in Höhe von einer Million Euro sind nur eine Interimslösung.

Eine Außenansicht des Notfallzentrums mit dem Schlauchturm im Hintergrund.

Das Notfallzentrum soll umziehen.

Laut Kreistagsbeschluss sollen die Leitstelle und die geplanten angegliederten Stabsräume für Großschadenslagen in einen Neubau am Kreishaus in der Gummersbacher Innenstadt umziehen. Die Fraktionen von SPD, Linkspartei und Grünen hatten sich vergeblich für einen Ausbau der Kapazitäten am aus ihrer Sicht besseren Altstandort in Kalsbach ausgesprochen.

Im Neubau an der Moltkestraße soll es einen Betriebsraum mit neun Einsatzleitplätzen geben, zudem wieder sechs weitere Einsatzleitplätze in einem Ausnahmeabfrageraum. Neben Büroräumen für die Lagedienstführung und den Telenotarzt sowie einem Mehrzweckraum sind eine Umkleide mit Schwarz-Weiß-Trennung sowie Sozialräume vorgesehen.