Kommentar zu Folgen der EuropawahlPolitische Landschaft in Rhein-Erft weist Unwuchten auf

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Eine Frauenhand wirft ein Blatt Papier in eine Wahlurne.

Knapp 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Rhein-Erft-Kreis gaben am 9. Juni 2024 ihre Stimme bei der Europawahl ab. (Symbolbild)

Linke und Piraten verschwinden in der Bedeutungslosigkeit, die Grünen hadern mit ihrer Ampel-Rolle, die SPD braucht ein Zugpferd.

Dafür, dass es „lediglich“ eine Europawahl gewesen ist, hat es einige Parteien im Rhein-Erft-Kreis gehörig durchgeschüttelt und 15 Monate vor der Kommunal- und Bundestagswahl bei ihnen Fragen und Zweifel ausgelöst. Zuvorderst natürlich bei Grünen und der SPD. Sie verloren gegenüber der Wahl vor fünf Jahren acht beziehungsweise 3,3 Prozentpunkte. In Zahlen liest sich das Ganze noch dramatischer: 16.000 Stimmen büßten die Grünen ein, 5500 die SPD.

Die Linke wiederum wird pulverisiert, nachdem das BSW aus dem Stand heraus 4,6 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Auch die Piraten, die derzeit im Kreistag und in einigen Stadträten sitzen, verkommen mit 0,6 Prozent zur Bedeutungslosigkeit.

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Ohne Nachhall ist bisher die Anwesenheit der AfD in Stadträten und im Kreistag geblieben. Mit 13,3 Prozent bei der Europawahl dürfte sie jedoch mit gestärktem Selbstbewusstsein in die wichtigen Wahlen im kommenden Jahr gehen.

Diese neuen Unwuchten im politischen Rhein-Erft-Kreis werfen Fragen für 2025 auf:

Wie wollen die Grünen angesichts des Ballasts der Ampelkoalition in Berlin an ihr Ergebnis von der Kreistagswahl vor vier Jahren heranreichen? 18,6 Prozent erreichten sie. Ihr Kreisvorsitzender Christian Schubert hat als Reaktion auf das Desaster bei der Europawahl in dieser Woche eine persönliche Mängelliste der Versäumnisse seiner Partei erstellt.

Die SPD braucht einen Coup, um wieder wählbar zu werden

Das beginnt beim Personal, führt über die Bevormundung der Wähler und endet bei dem strikten Nein beim Abschiebethema: All diese bundespolitischen Themen schlagen auf die Basis durch – und aus dem ursprünglichen Vorteil, dass Kommunal- und Bundestagswahl vermutlich auf denselben Tag fallen, somit die Wahlbeteiligung entsprechend hoch ist, könnte für die Grünen – und alle anderen, die schwächeln – ein Nachteil werden.

Wie will die SPD den Abstand auf die CDU verkürzen, um zumindest zu wahrnehmbarer Oppositionsarbeit im Kreistag und im Wettstreit der Parteien fähig zu sein? Auch wenn der Rhein-Erft-Kreis kein Kernland der Sozialdemokratie ist, kann es nicht ihr Anspruch sein, in der Bedeutungslosigkeit herumzudümpeln. Die SPD braucht einen Coup, nicht zuletzt eine Herausforderin oder einen Herausforderer für Landrat Frank Rock – und das schnell. Bedburgs beliebter und erfolgreicher Bürgermeister Sascha Solbach wäre einer, aber er wird sich kaum auf dieses Wagnis einlassen.

Wie lange kann es Hans Decruppe mit seinem Gewissen vereinbaren, im Kreistag mit ehemaligen Mitgliedern der Linkspartei an einem Tisch zu sitzen, die sich dem Bündnis Sahra Wagenknecht angeschlossen haben? Jene Gruppierung, deren Abgeordnete in dieser Woche aus Protest gegen Redner Wolodymyr Selenskyj den Reichstag verlassen haben.

Der Anstand sollte es dem ehemaligen Linken verbieten, unter dem Deckmantel des Wahlprogramms der Linken von 2020 weiter Kreispolitik zu betreiben, Seite an Seite mit bekennenden BSW-Anhängerinnen wie Martina Thomas.

Im Kreistag könnten sich neue Koalitionen ergeben

Wie werden künftige Mehrheiten im Kreistag aussehen? Bisher bilden CDU, Grüne und FDP eine Jamaika-Koalition. Durch den Absturz der Grünen und dem ständigen Bangen der FDP, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde überwindet, könnte die langjährige Zusammenarbeit des Bündnisses enden. Die CDU wäre in der komfortablen Lage, ihre Juniorpartner auszuwählen.

Eine Erneuerung des Bekenntnisses, im Rhein-Erft-Kreis keinesfalls mit der AfD zu koalieren, wäre zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zweifelsohne angebracht.