Chaotisch in die OsterruheProtokoll einer heillos zerstrittenen Nacht

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Merkel nach der jüngsten Ministerpräsidenten-Konferenz

  • Die Ministerpräsidenten sind zerstritten, die Kanzlerin verliert die Geduld, und kurz bevor die Runde scheitert, brüten Bund und Länder ein Überraschungsei aus: ein Lockdown XXL fürs Land.
  • Protokoll einer beispiellosen Nacht.

Berlin – Es ist ein sehr eigener Vorstoß des Kanzleramts. So exklusiv, dass selbst der für das Infektionsschutzgesetz zuständige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aus allen Wolken fällt, als er davon nach Mitternacht erfährt.

So schildert es zumindest die SPD-Seite mitten in der Nacht zum Dienstag. Auch die Sozialdemokraten sind überrumpelt, dass aus der ursprünglichen Idee im Beschlussentwurf vom Vormittag, über Ostern die geltenden Kontaktbeschränkungen zu lockern, ein harter Shutdown mit XXL-Feiertagsdauer wird – eine auf fünf Tage „erweiterte Ruhezeit zu Ostern“.

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Das sei Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am späten Abend plötzlich eingefallen, verlautet von Seiten der Union. Vorbereitet ist darauf jedenfalls niemand. Weder Spahn noch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) können darauf wechseln. Sozialdemokraten erfüllt das mit Freude. Mit Schadenfreude, vor allem über Spahn.

Rollen wie am Familientisch

Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, wird dem Vernehmen nach erst einmal losgeschickt, um die Rechtslage zu klären. Anders als die Menschen im Land treibt die Politiker nicht um, ob die Supermärkte am Gründonnerstag und Ostersamstag geöffnet haben, sondern, wie Firmen behandelt oder entschädigt werden und wer alles dagegen klagen könnte. Und: Wie können die Ministerpräsidenten das alles noch vor Ostern durch die Landtage bekommen?

In den Ministerpräsidentenkonferenzen gibt es längst verteilte Rollen wie an einem Familientisch. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) ist in der Runde für seine länglichen Vorträge berüchtigt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den Ruf des One-Trick-Ponys – er ist also einer, der eine zentrale Idee in einer solchen Runde durchzusetzen versucht, die er hinterher öffentlichkeitswirksam verkaufen kann.

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In den insgesamt 13-stündigen Verhandlungen sei er diesmal aber recht schweigsam gewesen, wird am Morgen erzählt. Nur in der sogenannten B-Runde – das sind die Unionsministerpräsidenten – hat er demnach Partei für den Vorschlag von Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern und Stephan Weil aus Niedersachsen (beide SPD) und Daniel Günther (CDU) aus Schleswig-Holstein zum „kontaktarmen Urlaub“ im Inland ergriffen. Was diese für ihre Küstenurlaubsregionen wollten, konnte er sich auch für den Bayerischen Wald vorstellen.

Dann eben im Alleingang

Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, sagt Söder wiederum nichts dazu. Bis dahin sind die Ministerpräsidenten – gleich welcher Parteifarbe – untereinander ziemlich zerstritten. Günther, Schwesig und Weil drohen dem Vernehmen nach mit einem Alleingang in Form einer Protokollnotiz. Kurzzeitig machen sogar Spekulationen über ein Scheitern der Konferenz die Runde. Schwesig spricht aus, was viele Menschen im Land aufregt: Wieso soll man nach Mallorca fliegen, nicht aber im eigenen Land auf einem Campingplatz oder in einem Ferienhaus Urlaub machen dürfen?

Von Seiten des Bundes (sowohl von Innen- als auch Justizministerium) wird erläutert, dass ein Verbot von Mallorca-Reisen nicht möglich sei, da der Inzidenzwert der Neuinfektionen dort zu niedrig ist, um die Reisewarnung aufrechtzuhalten. Und Merkel erklärt, dass „kontaktarmer Urlaub“ wie ein neuer Öffnungsschritt wirke. Das müsse dringend vermieden werden.

Gemeint sind Übernachtungen, bei denen eigene sanitäre Anlagen in Apartments oder Wohnmobilen genutzt werden können und Essen zur Selbstversorgung organisiert werden kann. Fakt wäre aber: Die Ferienorte wären voll, die Mobilität würde steigen. Die Corona-Gefahr damit auch. Die Frage, ob es überhaupt noch eine Gemeinsamkeit zwischen Bund und allen Ländern in der Corona-Politik gibt, hängt in diesem Moment also an Ferienwohnungen und Campingplätzen.

Die Kanzlerin referiert Zahlen

Die Kanzlerin hört in der Regel erst einmal nur zu. Lässt andere reden, lässt laufen. Irgendwann wird sie ungeduldig, klagt, so komme man nicht weiter. Sie mahnt, referiert Zahlen und fordert einen strengeren Kurs. An diesem Montagabend ist für sie kurz nach 18.30 Uhr der Moment gekommen einzugreifen. Die Sitzung wird nach rund dreieinhalb Stunden unterbrochen. Für 15 Minuten zunächst. Es werden viele Stunden daraus.

Union und SPD beraten getrennt, alle bekommen sich irgendwo in die Haare. Gesprochen wird auch in kleiner Runde: Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Michael Müller (SPD) aus Berlin und CSU-Chef Söder. Auch Kanzleramtsminister Helge Braun ist dabei. Teilnehmer beschreiben den Abend als „total chaotisch“.

Als die Ministerpräsidenten sich sträuben, die am 3. März für den Fall steigender Inzidenzen gemeinsam vereinbarte Notbremse nun auch mit voller Kraft anzuziehen, soll Merkel unwirsch geworden sein. „Wenn es so ist, dann gibt es heute gar keinen Beschluss“, wird sie zitiert. Sie pocht auf ein Signal, dass die Lage ernst ist und mitten in der dritten Corona-Welle Öffnungsschritte zurückgenommen werden müssten. Irgendwann stellt Merkel den Ministerpräsidenten eine Frage: Welchen Inzidenzwert diese denn erwarteten, wenn man sich am 12. April wiedertreffe, will sie wissen und bietet ein paar Zahlen an. „98, 105 oder 250“, rekapituliert ein Teilnehmer. Niemand habe geantwortet. Aber die Betroffenheit habe sich mitgeteilt.

Der für seine emotionalen Ausbrüche bekannte Thüringer Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) arbeitete unterdessen weiter an seinem Ruf einer gewissen Unernsthaftigkeit. Zuletzt machte er Schlagzeilen mit Candy-Crush-Spielen während der Sitzungen, diesmal schrie er quasi per Tweet: „ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ ...“

Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagt er am Dienstag: „Ich habe sechs Stunden dagesessen, ohne zu wissen, was eigentlich los ist. Erst um 0.57 Uhr habe ich wahrgenommen, dass es darum geht, die Osterruhe zu verlängern.“ Von 0.57 Uhr datiert der Beschlussentwurf – schriftlich –, auf den sich dann alle einigen.

Ramelow stört sich an dem ganzen Konstrukt: „Ich sehe immer einen Anlass für eine Föderalismusdebatte, aber nicht mitten in der Pandemie. Wir sind eine Republik. Das ist ein Bund von Ländern, die gemeinsam den Bund bilden. Die verfassungsrechtliche Hoheit liegt also in den Ländern.“ Und: „Diese mediale Berichterstattung geht mir an die Substanz. Es entsteht der Eindruck, als ob die Ministerpräsidentenkonferenz eine Tombola wäre. Looser sind die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin.“

Söder hat für gewöhnlich nicht so viel mit Ramelow am Hut, aber hier hakt er ein. Die Bund-Länder-Runden liefen so nicht gut, sagt er in München rund zehn Stunden nach der nächtlichen Pressekonferenz im Kanzleramt. „MPK, die 15 Stunden dauern, in denen die wesentlichen Entscheidungen zwischen ein Uhr nachts und 3 Uhr nachts gefällt werden, bergen die Gefahr, dass am Ende nicht alle Details geklärt werden und damit die Kommunikation gerade bei so sensiblen Fragen schwieriger wird.“

In Anspielungen auf viele an Medien durchgestochene Entscheidungen sagt er: „Ich glaube, dass jede dieser Schalten, wenn wir sie haben, besser gleich öffentlich ist.“ Livesendungen sozusagen. Damit könne man „die Einsichtsfähigkeit“ erhöhen – ob bei den Bürgern oder bei den Ministerpräsidentenkollegen, lässt er offen.

Auf Söder liegt besonderes Augenmerk. Er läuft im Rennen um die Kanzlerkandidatur der Union, er hat als CSU-Chef gerade mächtig Ärger mit Korruptionsskandalen in seiner Partei. Sein Konkurrent um die Kanzlerkandidatur, der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, allerdings ebenso.

Und es ist genau ein Jahr her, dass sie mit ihren unterschiedlichen Corona-Bewältigungskonzepten gegeneinander antraten: Söder im Team Vorsicht und Ausgangsbeschränkungen, Laschet im Team Lockerung. Daran hat sich wenig geändert. Auch nichts an ihrer Rivalität. Beide dürften sich in diesen Konferenzen mehrfach vorgestellt haben, wie es wäre, nähmen sie dort Platz, wo jetzt noch Merkel sitzt.

An diesem Mittag in München hält Söder einen über 20-minütigen Monolog. Er versucht es poetisch: Bleiern liege Corona über dem Land. „Es ist eine dunkle und schwere Wolke über den Gemütern unserer Menschen.“ Die Stimmung sei „leicht depressiv“.

... und Söder ist enttäuscht

Aber eines durchzieht seine Ausführungen ganz besonders: Kritik an der Bundesregierung. Die Medienresonanz auf die MPK war nicht besonders gut. Das Unverständnis über die Beschlüsse ist groß, es herrscht viel Verwirrung. Söder war Teil der Runde und stellt sich nun an den Spielfeldrand.

Er sei „sehr enttäuscht gewesen über das Kommunikationsmanagement der Bundesregierung“, insbesondere mit Blick auf die Mallorca-Reisen, sagt er. Es sei unklar geblieben, warum man auf die spanische Insel, nicht aber in den Bayerischen Wald fahren dürfe. Demnach hat er entweder den Juristen am Vorabend nicht zugehört, oder er ärgert sich selbst über die Entscheidungen. In der Pressekonferenz im Kanzleramt hatte er gegen 3 Uhr morgens gesagt, es seien schwere Entscheidungen gewesen, aber er habe kein schlechtes Gewissen.

Zurück in Bayern bemüht er sich um ein verständnisvolleres Profil. „Wie herrlich wäre das, in Italien oder anderswo am Strand oder am Gardasee zu sitzen. Das wäre ein Traum“, sagt er. Ein versonnener Blick, und dann ein Seufzer: „Aber es macht keinen Sinn. Es macht keinen Sinn.“

Am 12. April ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz. Ob Bund und Länder zusammenkommen wollen oder nicht.