Bayer-Trainer Gerardo Seoane"Ich kann auch böse sein, das ist im Fußball wichtig

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Gerardo Seoane spricht mit Karim Bellarabi

Leverkusen – Nach einer Woche Trainingsarbeit bei Bayer 04 verspürt Gerardo Seoane in Leverkusen eine Unzufriedenheit, die ihn zufrieden macht. „Die Spieler strahlen das aus“, sagte er am Montag in einer ersten kleinen Bestandsaufnahme, „sie strahlen Freude am Fußballspiel aus, einen gewissen Hunger, aber auch diese Unzufriedenheit mit der letzten Saison.“ Alles andere wäre auch problematisch für den Schweizer, der in seiner Heimat drei Meisterschaften in Folge gewann, ehe er die Herausforderung Fußball-Bundesliga annahm. Er wurde verpflichtet, um einen Kader weiterzuentwickeln, dessen Talent seit Jahren größer ist als der unbedingte Wille, Spiele auch gegen größte Widerstände zu gewinnen.

Vom ersten Tag seiner Arbeit an legt der 42-Jährige ein besonderes Auge auf diesen Aspekt seiner Tätigkeit. „In der Kabine sind sie wie eine großartige Familie“, beschreibt er sein Team, „aber es braucht im Fußball auch die anderen Komponenten wie den Biss und die Galligkeit. Ich finde, man kann als Gruppe Harmonie und eine gute Stimmung haben, aber dennoch solche Dinge voneinander einfordern.“

Ein typisches Trainer-Problem ist, nur Teile der Mannschaft, des Kaders zur Verfügung zu haben. „Da beruhigt mich vor allem, dass es meinen Trainerkollegen genau so geht“, sagt Seoane, der „am besten in zwei, drei Wochen“ die Gruppe, wie er sie sich wünscht, zusammen hätte. Allerdings gehört es längst zu seinem Job, sich den Gepflogenheiten des Transfermarktes und des Fifa-Spielplanes zu fügen. „Damit muss ein Trainer heute leben.“ Während der Klub neue Fakten schafft wie die bevorstehende Verpflichtung des niederländischen U-21-Nationalspielers Mitchel Bakker (siehe Meldung), muss Gerardo Seoane den vorhandenen Kader weiter entwickeln. Auch hier ist sportliche Charakterschulung ein wichtiges Thema. Seoane: „Es geht darum, wie wir spielen wollen und auch darum, was wir verkörpern wollen. Wir wollen den totalen Siegeswillen in jeder einzelnen Situation weiterentwickeln.“

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Hier hilft ihm die Unzufriedenheit seiner Spieler mit Platz sechs in der Vorsaison, mit dem teilweise peinlichen Ausscheiden aus den Pokal-Wettbewerben. „Da deute ich Unzufriedenheit positiv, als Ehrgeiz“, sagt Seoane, der sich diesen Mangel an Entschlossenheit als Trainer von Young Boy Bern zunutze machte, als er Bayer 04 in der Europa League im März mit zwei überraschenden Siegen (4:3, 2:0) aus dem Wettbewerb warf. Seoane ist von allen Trainern der Fußball-Bundesliga der in Deutschland unbekannteste. Seine Erfolge mit Young Boys Bern haben daran ebenso wenig geändert wie eine erste Pressekonferenz, in der er sich vorgestellt hat.

Das liegt einerseits an der Abgeschiedenheit des eidgenössischen Liga-Fußballs, andererseits an Seoanes freundlichem, zurückgenommenem Auftreten, das nichts von der dampfenden Emotionalität hat, die durch Jürgen Klopps Erfolge in Deutschland zu einem vielfach und schlecht kopierten Ideal geworden ist.

Seoane legt Wert darauf, dass er die Ausbildung von jungen Fußballern in der Nachwuchsakademie von Luzern über viele Jahre hinweg gelernt hat. „In der Schweiz nimmt dieser Aspekt in der Trainer-Ausbildung einen wichtigen Raum ein, weil alle wissen, dass die Vereine sich auch durch Talententwicklung finanzieren“, erklärt er. Das trifft sich gut mit dem Leverkusener Wunsch, einen hoch begabten, aber in vielen Aspekten noch unfertigen Kader auf die nächste Stufe zu heben.

Auf die Frage nach seinen Vorbildern antwortet Seoane: „Ich habe viele Trainer-Biografien gelesen. An Carlo Ancelotti hat mich sein Umgang mit Stars fasziniert, an Pep Guardiola die Spielidee, an Jürgen Klopp die Leidenschaft.“ Am nächsten steht ihm jedoch der Südbadener Ottmar Hitzfeld, der in der Schweiz Trainer wurde und mit Dortmund und München mehrfach alles gewann, was es zu gewinnen gab. „Er ist für mich ein Vorbild in Mannschaftsführung, in Souveränität und Kommunikation. Da hat er praktisch keine Fehler gemacht.“ Eines stellt Gerardo Seoane allerdings klar: „Ich kann auch böse werden, im Sinn von fordernd. Im Fußball braucht man alles. Auch das. Es ist wichtig.“