Maßnahmen nach Palästina-ProtestcampHat die Bildungsministerin die Freiheit der Wissenschaft behindert?

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Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung.

Im Bundesbildungsministerium ist offenbar darüber nachgedacht worden, Wissenschaftlern Fördermittel zu streichen.

Das „Wissenschaftsjahr 2024: Freiheit“ hat das Bundesbildungsministerium ausgerufen. Nun steht Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der Kritik, genau diese Freiheit nicht zu ermöglichen. Was ist passiert?

Was ist der Ausgangspunkt der Debatte?

Am Anfang steht eine pro-palästinensische Protesaktion an der Freien Universität Berlin (FU) am 7. Mai im Berliner Stadtteil Dahlem. Rund 150 Aktivistinnen und Aktivisten besetzten einen Hof der FU. Nach Angaben der Universität drangen einige von ihnen in Räume und Hörsäle ein, lösten Feueralarme aus und beschädigten die Einrichtung.

Die Demonstranten protestierten gegen Israels Vorgehen in Gaza und forderten einen Boykott des Landes. Die Universitätsleitung ließ den Lehrbetrieb im betroffenen Gebäudebereich einstellen und rief die Polizei, die das Protescamp räumte. Universitätspräsident Günter Ziegler rechtfertigte das Vorgehen damit, dass der Protest „nicht auf Dialog ausgerichtet“ gewesen sei.

Knapp 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrerer Berliner Hochschulen kritisierten im Anschluss den Einsatz in einem offenen Brief mit dem Hinweis auf Versammlung und Meinungsfreiheit. Es sei wichtig, Studierende „in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern“, hieß es in dem Schreiben. „Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.“

Der Protest müsse nicht auf Dialog ausgerichtet sein – die Universitätsleitung hingegen sei verpflichtet, „solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben“. Diese Pflicht habe die FU-Leitung verletzt.

Die Wissenschaftler schließen sich den Forderungen der Protestierer nicht explizit an, zeigen aber Verständnis für deren gefühlten Handlungsdruck. „Angesichts der angekündigten Bombardierung Rafahs und der Verschärfung der humanitären Krise in Gaza sollte die Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden auch für jene nachvollziehbar sein, die nicht alle konkreten Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für nicht geeignet halten“, heißt es in dem Brief. Die Massaker der Hamas und das Festhalten israelischer Geiseln finden in dem Brief keine Erwähnung.

Wie reagierte das Bundesbildungsministerium?

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kritisiert den Offenen Brief umgehend in der „Bild“-Zeitung. Sie sei „fassungslos“, sagt sie. „Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost.“ Gerade Professoren und Dozenten müssten „auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“.

Einige Tage später veranlasste das Bundesbildungsministerium (BMBF) eine Prüfung, ob der Brief strafrechtliche Inhalte enthält – und ob es möglich sei, Fördergelder zu widerrufen. Dies geht zumindest aus einem hausinternen E-Mail-Verkehr des Ministeriums hervor, den das ARD-Magazin „Panorama“ diese Woche veröffentlichte.

Konkret heißt es dort in einem Austausch von Referatsleitungen und stellvertretenden Referatsleitungen, aus der Leitung des Ministeriums sei gebeten worden zu prüfen, „inwieweit vonseiten des BMBF ggf. förderrechtliche Konsequenzen (Widerruf der Förderung etc.) möglich sind“. Weiter heißt es: „In der Kommunikation der Leitung wurde auch angezweifelt, dass die Hochschullehrer auf dem Boden des GG (Grundgesetzes, Anm. d. Red) stehen.“

Bildungsstaatssekretärin Sabine Döring betonte nach Veröffentlichung des E-Mail-Verkehrs, es sei nur eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Briefes erfolgt. Die Leitung habe die Überprüfung von Fördermitteln „zeitnah nach Erteilung des Prüfauftrags“ gestoppt. „Der Entzug von Fördermitteln in Reaktion auf den offenen Brief stand in der Hausleitung nicht zur Debatte.“ Warum in der E-Mail aus dem Ministerium von einer Bitte aus der Ministeriumsleitung nach Überprüfung der Fördermitteln die Rede ist, hat das Ministerium bislang nicht aufgeklärt.

Warum und von wem wird Stark-Watzinger kritisiert?

Aus Gewerkschaften und Wissenschaft wird der Ministerin ein problematisches Verhältnis zu Meinungs- und zur Wissenschaftsfreiheit vorgeworfen. Am deutlichsten wird das „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“ (NGA WISS), in dem sich Vertreter des Universitäts-Mittelbaus, also der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zusammengeschlossen haben: „Wer Drittmittel als Waffe gegen politische Gegner bentuzt, ist ein Feind der Wissenschaftsfreiheit“, stellen die Organisation fest und fordert: „Bettina Stark-Watzinger muss zurücktreten.“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) findet, dass sich die Ministerin zumindest persönlich erklären müsse. „Wenn auch nur der Anschein besteht, dass die Bundesforschungsministerin die Förderung von Forschungsprojekten davon abhängig macht, dass Forschende sich politisch willfährig äußern, unterminiert sie damit nicht nur das im Grundgesetz verankerte Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, sondern auch die Legitimität der Forschungsförderentscheidungen ihres Hauses“, sagt GEW-Vize-Chef Andreas Keller.

Kritik kommt auch aus der Politik. Die Vize-CDU-Chefin und schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Die Wissenschaftsfreiheit steht weltweit unter Druck und ist konstitutiv für unsere liberale Demokratie. An dieser Grundhaltung darf eine Bundesministerin für Bildung und Forschung durch ihr Verhalten unter keinen Umständen Zweifel aufkommen lassen.“