Umweltminister Krischer drei Jahre nach der Flut„Wenn man das macht, bestraft man diejenigen, die sich versichert haben“

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Luftbild: Die Zerstörungen durch die Flutkatastrophe in Erftstadt-Blessem vom Juli 2021

Die Zerstörungen durch die Flutkatastrophe in Erftstadt-Blessem vom Juli 2021

NRW-Umweltminister Oliver Krischer will mittelgroße Flüsse wie Erft und Wupper stärker ins Visier nehmen. Der Sanierungsbedarf sei erheblich.

Herr Krischer, können sich die Menschen im Vergleich zur Flut von 2021 heute zumindest sicher sein, rechtzeitig vor einer Katastrophe informiert zu werden?

Oliver Krischer: Wir sind im Vergleich zu 2021 deutlich besser geworden, wenn es um die Information, also um die Gewinnung von Hochwasserdaten und deren Übersetzung für Feuerwehr, Katastrophenschutz und Polizei geht. Das Warnsystem für die Bevölkerung funktioniert. Wir haben jetzt allgemein verständliche Meldungen und klare Meldeketten. Im Juli 2021 gab es zum Beispiel das Problem, dass Meldungen des Landesumweltamts von den Katastrophenschutzbehörden nicht verstanden wurden, weil sie in einem sehr technischen Deutsch abgefasst waren. Bei den Hochwasserereignissen zu Weihnachten 2023 hat sich diese Neuordnung bisher bewährt.

Wird inzwischen nicht zu häufig vor Unwettern gewarnt? Das könnte doch auf Dauer eine abstumpfende Wirkung haben.

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Die Gefahr besteht immer. Genaue Voraussagen zu treffen, wie heftig ein Starkregen sein wird und ob er vor Köln auf einem Acker oder der Innenstadt niedergeht, sind schwierig. Da wird es immer Ungenauigkeiten geben. Im Zweifelsfall ist es besser, einmal zu viel als zu wenig gewarnt zu haben. Man muss den Menschen immer wieder vermitteln, dass Starkregen und Hochwasser häufiger und überall auftreten können.

12.06.2024, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, spricht bei einer Plenarsitzung im Landtag von Nordrhein-Westfalen in einer Aktueller Stunde zum Hochwasserschutz. (zu dpa: «Landtag streitet über Hochwasserschutz - «Land lässt Millionen liegen»») Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

NRW-Umweltminister Oliver Krischer spricht bei einer Aktuellen Stunde im Landtag im Juni 2024 zum Thema Hochwasserschutz.

Die Hochwasser-Prognosen sollen besser und auch auf Regionen übertragen werden, die bisher nicht als Risikogebiet galten. Wie geht das?

Das geht schon, ist aber ein erheblicher Aufwand. Die Bezirksregierungen haben nach der Flut von 2021 den Auftrag, die Hochwasserrisiko- und Überschwemmungsgebiete zu aktualisieren und Berechnungsmodelle für das Risiko eines Hochwassers zu erstellen, das theoretisch alle 100 Jahre auftreten kann. Dieses Risiko ist heute viel höher als das früher der Fall war. Diese neuen Berechnungen müssen anschließend alle in Karten eingetragen und mit den Kommunen abgestimmt werden. Ortskenntnisse sind von entscheidender Bedeutung. Das ist eine Sisyphos-Arbeit. Wir wollen eine Neuausweisung der Hochwasserrisiko- und Überschwemmungsgebiete für das ganze Land erreichen.

Müssen nicht auch alle Flüsse in NRW erneut überprüft werden, ob sich mit Schutzwänden, Rückhaltebecken und Schaffung von Retentionsflächen der Hochwasserschutz verbessert lässt? Oder sind die klassischen Maßnahmen längst ausgereizt?

Wir haben viele Jahrzehnte lang beim Hochwasserschutz fast ausschließlich auf den Rhein geguckt. Der Rest des Landes stand weniger im Fokus, weil das Schadenspotenzial im Vergleich zum Rhein nicht so schlimm war, dass man daraus für den Ausbau des Hochwasserschutzes Konsequenzen hätte ziehen müssen. Bei uns sind die Kommunen oder die von ihnen Beauftragten, wie Deichverbände oder Eigenbetriebe, für den Hochwasserschutz verantwortlich. Derzeit werden in vielen Kommunen Hochwasserschutzkonzepte aufgestellt. Der Erftverband koordiniert beispielsweise mit 16 Kommunen und drei Kreisen das interkommunale Hochwasserschutzkonzept Erft. Die richtige Mischung aus Prävention und Hochwasserschutzmaßnahmen führt hier zum Erfolg.

Wie wird das finanziert?

Das fördert das Land zu 80 Prozent und findet jetzt an vielen Stellen statt. Das ist neben dem Rhein eine der entscheidenden Aufgaben, an den mittelgroßen Flüssen wie Niers, Erft, Ruhr, Wupper, Weser oder Ems sowie an vielen kleineren Gewässern wirksamen Hochwasserschutz zu betreiben. Da gibt es ja zum Teil schon Deiche, die aber häufig in einem schlechten Zustand sind und für die sich niemand verantwortlich fühlt. Die haben wir für die größeren Gewässer in NRW, die sogenannten Gewässer erster und zweiter Ordnung, inzwischen erfasst und feststellen müssen, dass der Sanierungsbedarf erheblich ist. Die müssen auf den Stand der Technik gebracht werden.

Bei den Autobahnen lautet Ihr Credo, dass Sanierung Vorrang vor Neubau haben muss. Gilt das auch für die Hochwasserschutzanlagen?

Nein. Beim Hochwasserschutz verfolgen wir eher einen risikobasierten Ansatz. Wo Menschen und Siedlungen betroffen sind, hohe Sachwerte zu Schaden kommen könnten und die Anlagen in einem besonders schlechten Zustand sind, gilt die höchste Prioritätsstufe. Das kann im Einzelfall auch der Neubau einer Schutzwand sein. Es macht wenig Sinn, einen Deich zu sanieren, hinter dem nur Äcker liegen und wo niemand wohnt. Die können im Zweifelsfall überflutet werden. Je größer das Zerstörungspotenzial, desto dringlicher ist der Hochwasserschutz.

Bei 500 Kilometern Deichen in NRW wird das so schnell nicht erledigt sein, oder?

Das wird viele Jahre dauern. Das ist ein Generationenprojekt. Ich habe einen Bürgermeister getroffen, dem erst bei einem Hochwasser klar geworden war, dass er einen Deich hat, den er unterhalten muss. Das ist an vielen kleineren Flüssen und Gewässern häufig in Vergessenheit geraten. Durch die einzelnen Starkregen-Ereignisse, bei denen ein kleines Gewässer sich in einen Riesenstrom verwandelt, wird wieder ins Bewusstsein gerückt, dass es eine Überflutungsgefahr gibt.

Was muss ganz konkret geschehen?

Eine Bestandsaufahme aller Deiche und Hochwasserschutzanlagen für Gewässer der ersten und zweiten Ordnung, das sind die großen und mittelgroßen Flüsse, also auch für Flüsse wie Rur, Erft, Issel, Ems und Lenne. Deren Sanierung muss dann von den Kommunen und Verbänden abgearbeitet werden. Wir haben in diesem Jahr eigens einen Unterhaltungserlass für Deiche in NRW veröffentlicht. Darin ist geregelt, wie die Deiche zu pflegen und zu schützen sind. Auf Deichen dürfen beispielsweise keine Bäume wachsen und sie müssen regelmäßig gemäht werden. Am besten von Schafen. Aber keinesfalls von Kühen. Die sind zu schwer und treten den Deich kaputt.  Die Bezirksregierungen überwachen in Zukunft die Pflege der Deiche stärker und geben den Kommunen Hinweise zur Unterhaltung. Die wenigen Probleme, die wir beim Weihnachtshochwasser im vergangenen Jahr hatten, waren überwiegend Folge einer schlechten oder gar nicht erfolgten Unterhaltung. Das neue Deichkataster kommt noch in diesem Jahr.

Wie ist der Diskussionsstand bei der Pflichtversicherung für Elementarschäden? NRW hatte dazu doch eine Bundesratsinitiative gestartet.

Nach meinem Stand lehnt Bundesjustizminister Marco Buschmann das grundsätzlich ab. Alle 16 Bundesländer sind dafür. Auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz ist die Einführung auch noch einmal beschlossen worden. Ich habe kein Verständnis dafür, warum die FDP diese Pflichtversicherung aus ideologischen Gründen blockiert. Nach jedem Hochwasser haben wir das Dilemma, dass zwar ein Teil der Betroffenen Versicherungsschutz genießt und Geld von der Versicherung bekommt. Der andere Teil steht vor den Trümmern seiner Existenz und bringt die öffentliche Hand in die Bredouille, auch etwas zu tun, weil man die Menschen ja nicht hängenlassen kann. Wenn man das dann macht, bestraft man diejenigen, die sich versichert haben. Damit muss Schluss sein.