Bilanz 2023Eigene Stadtwerke sind in Bergneustadt weiter eine ernste Option

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Blick auf die B55 in Bergneustadt

Der Verkehr auf der Bundesstraße 55 sorgte im vergangenen Jahr für viel Gesprächsstoff in Bergneustadt.

Was war? Was kommt? In unserer Serie ziehen wir Bilanz für 2023. Heute geht es um Bergneustadt.

Wer dieser Tage entlang der Dörspe und durch das Othetal fährt, bekommt den Eindruck, die Stadt gönne sich eine kurze Verschnaufpause. Im Talpark haben die Arbeiter ihre Anstrengungen wetterbedingt unterbrochen, die Verabschiedung des städtischen Haushaltsplans lässt noch länger auf sich warten und selbst um die Wohnungssituation auf dem Hackenberg, die eigentlich immer das Potenzial für einen echten Aufreger liefert, ist es ruhig geworden.

Bergneustädter Feuerwehr im Großeinsatz

In das Jahr 2023 war Bergneustadt dagegen mit Vollgas gestartet. Der Neujahrstag ist keine halbe Stunde alt, als die Bergneustädter Feuerwehr mit sämtlichen Einheiten gegen ein Feuer in der Gärtnerei in Wiedenest kämpft – und gegen Chaoten, die direkt an der Absperrung so lange Böller zünden, bis die Polizei eingreift. Drei Wochen später verabschieden die Mitglieder des Stadtrats den Etat für 2023 und zwar mit spürbarer Erleichterung: Aus Düsseldorf sind Signale gekommen, die Mehreinnahmen versprechen, die Grundsteuer B muss zwar auf hohem Niveau bleiben, steigt aber nicht erneut in rekordverdächtige Sphären.

An der Talstraße beginnt der Umbau der ein Hektar großen Fläche in einen Park mit Spielplatz, imposanter Ritterburg und ganz viel Grün. Genau das sorgt allerdings für Streit, noch bevor der Bagger überhaupt die erste Schaufel Erde bewegt. Naturschützer ärgern sich über die Rodung einer Hecke, die einem Weg weichen muss. Im Rathaus ärgert man sich wiederum über die Naturschützer, die doch an den Planungen beteiligt gewesen seien.

SPD will eigene Stadtwerke für Bergneustadt

Für einen politischen Paukenschlag sorgt die SPD, die im Stadtrat den Antrag stellt, Bergneustadt solle die Versorgung mit Wärme, Strom und Wasser künftig in eigene Hände nehmen. Freilich hebt die Politik nicht gleich nach der ersten Beratung im April Stadtwerke aus der Taufe – aber die Fraktionen verabreden einstimmig, dass das Ansinnen genau geprüft wird, betriebswirtschaftlich, rechtlich und auch technisch.

Seither befassen sich gleich mehrere Ausschüsse mit den Details und auch 2024 wird die Versorgung in eigener Hand wieder auf der Tagesordnung der Gremien stehen. Andererseits bleibt den Bergneustädter auch noch Zeit. Die Konzession für das Leitungsnetz etwa ist bis zum Jahr 2032 vergeben. So oder so: Wie sich die Stadt letztlich positioniert, wird eine der spannendsten politischen Fragen sein, wahrscheinlich über 2024 hinaus.

Radfahrerin wird in Bergneustadt-Wiedenest getötet

Ende Juli kommt es in Wiedenest zu einer Tragödie: Ein Kleintransporter erfasst zwei junge Radfahrerinnen, die die Bundesstraße 55 überqueren wollen. Eine Achtjährige stirbt. Die Politik reagiert nach der Sommerpause mit allerlei Vorstößen, um die Gefahren der Bundesstraße zu entschärfen – von zusätzlichen Ampeln bis hin zur Einrichtung von Tempo 30 auf der B55 im gesamten Bergneustädter Stadtgebiet. Vor allem letzteres wird hitzig diskutiert. Dabei kriegen sich einzelne Stadtverordnete dermaßen in die Haare, dass der Bürgermeister in der darauffolgenden Sitzung rügt, Art und Weise des Streits seien mit der Würde des Stadtrats nicht mehr vereinbar gewesen.

Ob politisches Hickhack in Bergneustadt einfach dazugehört, ist Ansichtssache – ganz sicher aber lässt sich in der Feste hervorragend feiern, im Großen wie im Kleinen. Das beweisen mehrere tausend Abba-Fans, die bei schönstem Sommerwetter auf dem Rathausplatz tanzen genauso wie die Nachbarschaft der Eichenstraße, die sich zum 70. Geburtstag ihrer Straße versammelt, und die Unterstützer des Freibads, die sich zur Mondschein-Party verabreden.

Bergneustädter Wüllenweber-Gymnasium feiert 100. Geburtstag

Die Bergneustädter Katholiken widmen dem 100. Geburtstag der Stephanuskirche gleich fünf Feiertage, genauso alt wird das Wüllenweber-Gymnasium, zu dessen Jubiläum tatsächlich Ehemalige aus aller Welt anreisen. Donnernden Applaus ernten Helga Sterling-Schmuck und Antje Schnellenbach, die zum Stadtgeburtstag erstmals in die Rollen der Waschweiber Minchen und Jettchen schlüpfen und auf sympathische Art alle durch den Kakao ziehen, die zwischen Dümpel und dem Baldenberg Rang und Namen haben.

Apropos neue Gesichter: An gleich mehreren Stellen in der Stadt verabschieden sich 2023 Menschen, die das Bergneustädter Geschehen teils über Jahrzehnte begleiteten. So wählen die Rathausmitarbeiter seit dem Herbst nicht mehr die Nummer von Uwe Binner, wenn der Bürgermeister außer Haus ist. Binner ist im Ruhestand, seine Nachfolgerin heißt Julia Schalles.

Heinz Rehring verlässt Musikzug der Feuerwehr Bergneustadt

Mit großem Bahnhof wird auch Michael Kalisch als Pfarrer der evangelischen Emmaus-Kirchengemeinde verabschiedet, die Gläubigen müssen jedoch nur wenige Monate ohne Pfarrer auskommen, dann fällt die Entscheidung für Nachfolger Marc Platten, der zum 1. August seine bisherigen Aufgaben als Schulpfarrer in Nümbrecht an den Nagel hängt, um für die Menschen in Derschlag und Wiedenest da zu sein.

Mit Heinz Rehring als Dirigent des Musikzugs der Neustädter Feuerwehr geht eine echte musikalische Institution der Stadt. Inzwischen hat das Orchester unter dem neuen Dirigenten Micha Klappert aber bereits die ersten Konzerte mit Bravour gemeistert. Und auch die aktive Wehr kann sich nicht über zu wenig Beschäftigung beklagen, vor allem beim Brand des Bauhofgebäudes und beim Hochwasser an Weihnachten ist sie gefordert.

Als Anerkennung werden die Aufwandsentschädigungen für die Feuerwehrleute in Bergneustadt, Dörspetal, Klein-Wiedenest, Othetal und Hackenberg nun doch angehoben, nachdem der Stadtrat die Entscheidung zunächst vertagt hat. Die Angelegenheit steht beispielhaft für das Dilemma, das Bergneustadts Politikern längst bekannt ist: Es fehlt selten an guten Ideen, aber fast immer am Geld für die Umsetzung. Dass sich ehrenamtliche Ratsmitglieder jedes Jahr auf Neue daran machen, den Spagat zwischen Anspruch und dem finanziell Machbaren zu schaffen, verdient großen Respekt, quer durch alle Fraktionen.

Kürzlich haben die Planer des 725. Stadtgeburtstags 2026 übrigens dazu aufgerufen, Ideen für das Jubiläum zu sammeln. In Wahrheit tut sich in Bergneustadt also auch jetzt jede Menge, die Menschen planen nicht nur das laufende, sondern sogar schon das übernächste Jahr. Von wegen Verschnaufpause.

Zum Interview mit Bürgermeister Matthias Thul geht es hier